Meine neue - zugegeben, etwas abstrakte - Kurzgeschichte.
Wenn ihr wollt, kämpft euch durch und zieht daraus, was euch am besten passt.
Falls ihr dann noch Lust habt, eure Anregungen, Ideen und Eindrücke mit mir zu teilen, würde ich mich sehr freuen
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Nur fließen. Nur treiben.
Er lief auf dieser Straße entlang, ohne zu wissen, wohin er wollte. Über ihm spaltete sich der Himmel und der Boden wurde immer bröckeliger. Er hatte das Gefühl, als ob sich bald eine Schlucht unter ihm auftun würde. Von weitem hörte er, wie sie seinen Namen rief. Wer sie war, das wusste er nicht – nur, dass er ihre Stimme schon einmal gehört hatte.
Aus ferner Kindheit.
In einer anderen Zeit.
Aber ihre Stimme wurde von den dröhnenden Motoren der Maschinen überdeckt. Überall diese ohrenbetäubenden Geräusche. Auf und ab und auf und ab. Die Bolzen stießen in das Metall und schufen einen Durchgang. Der Druck, der auf ihm lastete, zwang ihn zu Boden. Er wusste, dass er bald, wenn er so weiter machte, in diesen tiefen Spalt fallen würde. Wann würde er sich auftun? Konnte er überhaupt vor ihm entkommen? Würde sie da sein, um seine Hand zu halten? Wer war sie überhaupt? Und wer war er?
Tapp,
tapp.
Seine Schritte hallten auf dem langen Flur wider. Wenn er daran dachte, was aus ihnen geworden war, zog sich seine Brust vor Schmerz zusammen. Der Schmerz war so riesig, dass er es nicht aushielt. Sein Kopf hämmerte wie verrückt. Wer war dort drin und schlug permanent gegen die Wände dieses Raums ohne Möbel, ohne Inhalt, der nur gefüllt war mit erstickendem Dunst und Nebel? Wer war diese Person, die am liebsten die Wände seiner Erinnerung durchbrechen wollte? Was genau hatte sie mit ihm vor? Er fiel auf die Knie und starrte in seine zittrigen Hände. Sie waren vom Schweiß ganz durchnässt. Warum schwitzte er? Er hatte sich kaum angestrengt. Noch nie. Vielleicht war das sein Fehler gewesen.
Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder lebte er mit der Vergangenheit oder er starb mit ihr. Was genau es wohl war, das ihn am anderen Ende dieses Ganges erwartete? Würde sie ihm die Antwort auf seine Fragen geben können? Da waren zwei Lichter am Horizont. Eines glühte im Rot der Abendsonne. Ein anderes leuchtete wie die Sonne an einem Morgen, an dem das Gras noch feucht vom Tau der letzten Nacht war. Der glühend rote Himmel malte ein Lied des Schreckens an seine weiße Tapete, aber im taufrischen Gras des milden Sommermorgens lag ein toter Körper, der ihn mit leerem Blick anstarrte.
In einem Traum sah er durch ein Fenster und starrte in zwei blutunterlaufene Augen, die ihn von jenseits der Scheibe anstarrten. Er wusste nicht, wem diese Augen gehörten, aber sie hinterließen ein Gefühl des Grauens in ihm. Als wüssten sie etwas, das er nicht wissen wollte. Und sie starrten ihn permanent durch dieses Fenster an, weil sie ihn darauf aufmerksam machen wollten.
Dieses Rot in den Augen.
Diese Ringe der Müdigkeit.
Ein Hauch von Verrat lag in der Luft.
Er stemmte sich auf und lief und lief und lief. Er hatte Angst, dass er sterben würde, wenn er weiter hier sitzen blieb. Hieß das etwa, dass er den Tod ablehnte? Er rannte, rannte. Irgendwo dort hinten war sie und wartete. Wartete, dass er sie einholte.
Zwei Wege.
Zwei Sonnen.
Zwei Möglichkeiten.
Leben oder sterben.
Wähle.
Der Wind blies ihm ins Gesicht und brannte in seinen trockenen Augen. Er kam dem Nullpunkt immer näher. Er spürte die Hitze des Zentrums. Sein Körper schmolz dahin. Und als er nur noch eine flüssige Masse war, bemerkte er, dass es die Sonne war, die ihn geschmolzen hatte. Er lag auf dieser Wiese und starrte zum Himmel. Er spaltete sich gerade vor seinem Angesicht, weil die Sonne im Inbegriff war zu verglühen. Unter ihm spaltete sich der Boden. Er fiel in ein tiefes Loch. Und sie fiel mit ihm. Irgendwo, sehr weit weg von ihm, fiel sie mit ihm in die Tiefe. Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, aber er war sowohl unfähig ihre Hand zu ergreifen als auch ihr Gesicht zu erkennen. Er reckte, reckte sich nach ihr, aber es war umsonst. Es ging immer tiefer und tiefer und tiefer und dabei wurde es immer kälter und kälter.
Doch er schlug nicht auf. Stattdessen blieb er mitten in der Luft stehen und um ihn herum war gähnende Schwärze. Er wusste nicht einmal, ob er immer noch fiel oder ob er bereits auf dem Boden lag. Existierte an diesem Ort überhaupt so etwas wie Materie? Er streckte seine Hand aus und tatsächlich konnte er etwas berühren. Es war eine Hand, die jenseits dieses schwarzen Nebels zu ihm ausgestreckt war. Euphorisch darüber, endlich etwas gefunden zu haben, das ihm gehörte, riss er die Hand zu sich und da war sie. Er zog sie direkt auf sich zu, ihr Gesicht kreidebleich, ihre Augen blutunterlaufen und ihn wie in Leichenstarre fixierend. Er schrie und stieß sie von sich. Er schrie und wand sich in seinem Bett hin und her.
Er schrie.
Er schrie.
Am Himmel waren keine Sterne mehr.
Der Wind hatte aufgehört zu wehen.
Alles fühlte sich steril an.
Da waren zwei Wege am Ende dieser Straße. Den einen hatte er ausgeschlossen. Auf dem anderen hatte er versagt. Er sah auf seine Uhr. Es war fünf vor zwölf. Dann sah er zum Horizont und hörte jemanden seinen Namen rufen. Es war eine Frauenstimme. Er sah hinter sich. Da war nichts. Da sah er wieder nach vorne. Zwei blutunterlaufene Augen, die ihn anstarrten. Er begann zu zittern. Zwei Wege. Zwei Sonnen. Zwei Möglichkeiten. Sie rief seinen Namen von hinter dem Horizont. Er hatte keine Träne, die er vergießen konnte. Es war alles in seinem Kopf. Dieser leere Raum war die einzige Antwort, die ihm geblieben war. Dann drehte er sich um und ging zurück in die Dunkelheit.
© Julian Jungermann, 23.07.13
Wenn ihr wollt, kämpft euch durch und zieht daraus, was euch am besten passt.
Falls ihr dann noch Lust habt, eure Anregungen, Ideen und Eindrücke mit mir zu teilen, würde ich mich sehr freuen
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Nur fließen. Nur treiben.
Er lief auf dieser Straße entlang, ohne zu wissen, wohin er wollte. Über ihm spaltete sich der Himmel und der Boden wurde immer bröckeliger. Er hatte das Gefühl, als ob sich bald eine Schlucht unter ihm auftun würde. Von weitem hörte er, wie sie seinen Namen rief. Wer sie war, das wusste er nicht – nur, dass er ihre Stimme schon einmal gehört hatte.
Aus ferner Kindheit.
In einer anderen Zeit.
Aber ihre Stimme wurde von den dröhnenden Motoren der Maschinen überdeckt. Überall diese ohrenbetäubenden Geräusche. Auf und ab und auf und ab. Die Bolzen stießen in das Metall und schufen einen Durchgang. Der Druck, der auf ihm lastete, zwang ihn zu Boden. Er wusste, dass er bald, wenn er so weiter machte, in diesen tiefen Spalt fallen würde. Wann würde er sich auftun? Konnte er überhaupt vor ihm entkommen? Würde sie da sein, um seine Hand zu halten? Wer war sie überhaupt? Und wer war er?
Tapp,
tapp.
Seine Schritte hallten auf dem langen Flur wider. Wenn er daran dachte, was aus ihnen geworden war, zog sich seine Brust vor Schmerz zusammen. Der Schmerz war so riesig, dass er es nicht aushielt. Sein Kopf hämmerte wie verrückt. Wer war dort drin und schlug permanent gegen die Wände dieses Raums ohne Möbel, ohne Inhalt, der nur gefüllt war mit erstickendem Dunst und Nebel? Wer war diese Person, die am liebsten die Wände seiner Erinnerung durchbrechen wollte? Was genau hatte sie mit ihm vor? Er fiel auf die Knie und starrte in seine zittrigen Hände. Sie waren vom Schweiß ganz durchnässt. Warum schwitzte er? Er hatte sich kaum angestrengt. Noch nie. Vielleicht war das sein Fehler gewesen.
Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder lebte er mit der Vergangenheit oder er starb mit ihr. Was genau es wohl war, das ihn am anderen Ende dieses Ganges erwartete? Würde sie ihm die Antwort auf seine Fragen geben können? Da waren zwei Lichter am Horizont. Eines glühte im Rot der Abendsonne. Ein anderes leuchtete wie die Sonne an einem Morgen, an dem das Gras noch feucht vom Tau der letzten Nacht war. Der glühend rote Himmel malte ein Lied des Schreckens an seine weiße Tapete, aber im taufrischen Gras des milden Sommermorgens lag ein toter Körper, der ihn mit leerem Blick anstarrte.
In einem Traum sah er durch ein Fenster und starrte in zwei blutunterlaufene Augen, die ihn von jenseits der Scheibe anstarrten. Er wusste nicht, wem diese Augen gehörten, aber sie hinterließen ein Gefühl des Grauens in ihm. Als wüssten sie etwas, das er nicht wissen wollte. Und sie starrten ihn permanent durch dieses Fenster an, weil sie ihn darauf aufmerksam machen wollten.
Dieses Rot in den Augen.
Diese Ringe der Müdigkeit.
Ein Hauch von Verrat lag in der Luft.
Er stemmte sich auf und lief und lief und lief. Er hatte Angst, dass er sterben würde, wenn er weiter hier sitzen blieb. Hieß das etwa, dass er den Tod ablehnte? Er rannte, rannte. Irgendwo dort hinten war sie und wartete. Wartete, dass er sie einholte.
Zwei Wege.
Zwei Sonnen.
Zwei Möglichkeiten.
Leben oder sterben.
Wähle.
Der Wind blies ihm ins Gesicht und brannte in seinen trockenen Augen. Er kam dem Nullpunkt immer näher. Er spürte die Hitze des Zentrums. Sein Körper schmolz dahin. Und als er nur noch eine flüssige Masse war, bemerkte er, dass es die Sonne war, die ihn geschmolzen hatte. Er lag auf dieser Wiese und starrte zum Himmel. Er spaltete sich gerade vor seinem Angesicht, weil die Sonne im Inbegriff war zu verglühen. Unter ihm spaltete sich der Boden. Er fiel in ein tiefes Loch. Und sie fiel mit ihm. Irgendwo, sehr weit weg von ihm, fiel sie mit ihm in die Tiefe. Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, aber er war sowohl unfähig ihre Hand zu ergreifen als auch ihr Gesicht zu erkennen. Er reckte, reckte sich nach ihr, aber es war umsonst. Es ging immer tiefer und tiefer und tiefer und dabei wurde es immer kälter und kälter.
Doch er schlug nicht auf. Stattdessen blieb er mitten in der Luft stehen und um ihn herum war gähnende Schwärze. Er wusste nicht einmal, ob er immer noch fiel oder ob er bereits auf dem Boden lag. Existierte an diesem Ort überhaupt so etwas wie Materie? Er streckte seine Hand aus und tatsächlich konnte er etwas berühren. Es war eine Hand, die jenseits dieses schwarzen Nebels zu ihm ausgestreckt war. Euphorisch darüber, endlich etwas gefunden zu haben, das ihm gehörte, riss er die Hand zu sich und da war sie. Er zog sie direkt auf sich zu, ihr Gesicht kreidebleich, ihre Augen blutunterlaufen und ihn wie in Leichenstarre fixierend. Er schrie und stieß sie von sich. Er schrie und wand sich in seinem Bett hin und her.
Er schrie.
Er schrie.
Am Himmel waren keine Sterne mehr.
Der Wind hatte aufgehört zu wehen.
Alles fühlte sich steril an.
Da waren zwei Wege am Ende dieser Straße. Den einen hatte er ausgeschlossen. Auf dem anderen hatte er versagt. Er sah auf seine Uhr. Es war fünf vor zwölf. Dann sah er zum Horizont und hörte jemanden seinen Namen rufen. Es war eine Frauenstimme. Er sah hinter sich. Da war nichts. Da sah er wieder nach vorne. Zwei blutunterlaufene Augen, die ihn anstarrten. Er begann zu zittern. Zwei Wege. Zwei Sonnen. Zwei Möglichkeiten. Sie rief seinen Namen von hinter dem Horizont. Er hatte keine Träne, die er vergießen konnte. Es war alles in seinem Kopf. Dieser leere Raum war die einzige Antwort, die ihm geblieben war. Dann drehte er sich um und ging zurück in die Dunkelheit.
© Julian Jungermann, 23.07.13