Angepinnt Literarische Qualitäten in Videospielen

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    Literarische Qualitäten in Videospielen

    Literarische Qualitäten in Videospielen
    Eine Analyse literarischer Motive und Themen in Silent Hill



    In diesem Thread will ich die Idee realisieren, literarische Motive und Themen auf die Silent Hill Reihe zu beziehen. Jeder Analysegegenstand wird aus der Sicht so vieler Teile wie möglich betrachtet. Außerdem werde ich vor jeder Analyse einen kurzen Exkurs in den Themenbereich aus literarischer Sicht geben.

    Die vorläufigen Themen beschränken sich auf (INHALTSVERZEICHNIS - einfach draufklicken um zum jeweiligen Thema zu gelangen)...


    - Frauenrollen

    - Reisemotive

    - Gewaltausübung

    - Psychosen

    - Selbstreflexion der Figuren in der Umgebung

    - Sexualität und Handlungsbezüge in Bezug auf die Figuren

    - Träume



    Diese Liste ist natürlich problemlos erweiterbar.

    Dieser Thread wird generell für Antworten geschlossen bleiben. Es wird aber natürlich einen Diskussionthread geben.
    Der ist hier erreichbar: Literarische Qualitäten in Videospielen - Diskussionsthread

    Ich freue mich auf Anregungen, Feedback und Diskussionen aller Art :)



    Liebe Grüße
    JayJay
    Frauenrollen in SH1-4 und Homecoming




    Frauenrollen in der Literatur:

    Mit der aufkommenden Diskussion des Feminismus und der Frauenrechte im 20. Jahrhundert wird das Augenmerk in den modernen Literturanalysen
    vermehrt auf Frauenrollen gelegt. Dabei wird untersucht, nach welchen Stereotypen Frauen dargestellt werden: Modern und
    selbstbestimmend (vgl. z.B. aktuelle Abenteuer-Romane mit weiblichen Hauptfiguren), schwach oder von der männlichen Figur abhängig (i.d.R. von der männlichen Hauptfigur beschützt),
    entweder böse oder Unglück bereitend (die Verführerin mit oder ohne Hintergedanken, deren Motive zur Katastrophe führen).
    Diese Analyse wird zeigen, dass mit oben genannten Stereotypen auch in der Silent Hill Reihe gespielt wird.
    Die Frage ist hierbei offen, ob unterschiedliche Frauenbilder Einfluss auf die Handlung haben können.
    In der weiteren Analyse beziehe ich mich auf Silent Hill 1-4 und Homecoming. Die Frauenrollen in Silent Hill Origins erscheinen nicht ausgeprägt genug
    für eine eingehende Analyse. Silent Hill Shattered Memories scheint mir den Rahmen zu sprengen, zumal sich die Frauenrollen mit dem Spielverlauf verändern.



    Silent Hill 1


    Cybil Bennett

    Zu Beginn des Spiels stärker als Harry und in der Rolle des Beschützers. Sie unterstützt den aufgewühlten Vater,
    indem sie ihm eine Waffe anvertraut. In Dahlias Antiquitätsladen ändert sich ihre dominante Position sichtlich,
    was daran zu erkennen ist, dass sie mit Fassungslosigkeit den traumatischen Vorfall schildert, bei dem sie Cheryl in der
    Luft schweben sieht. Im Bootshaus am Leuchtturm wird sie schließlich zur gleichgestellten Verbündeten,
    ehe sie im Vergnügungspark Opfer eines Parasiten wird. Ihr Schicksal entscheidet Harry, indem er sie tötet oder rettet.
    Tritt der zweite Fall ein, wächst sie am Ende wieder in die starke Rolle der Beschützerin hinein.
    Der Wandel von Cybils Rolle ist also, zusammengefasst, von der starken, beschützenden Frau hin zur gleichgestellten Partnerin,
    zu einer Frauenrolle, die beschützt werden muss, um am Ende entweder dieser hilflosen Rolle zu unterliegen (und zu sterben)
    oder von Harry gerettet gestärkt hervorgeht. Cybil ist am Ende nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen – sie braucht Harry.
    Ihre dominante Rolle ist im Hinblick auf die traumatischen Ereignisse von Silent Hill also hinfällig. Erst durch Harry
    kann sie neue Kräfte erlangen oder durch den Tod erlöst werden. Trotz ihrer durchaus wichtigen Rolle, die sie für Harry spielt,
    sehe ich Cybil demnach eher als altmodisches Frauenbild.
    Cybil erinnert auch stark an Frauenfiguren aus Verfilmungen wie Van Helsing und Daredevil: Sie erscheinen zunächst
    stark und dominant, müssen aber an einem bestimmten Zeitpunkt entweder abtreten, um den Helden stärker zu machen, oder von ihm gerettet werden.


    Dahlia Gillespie

    Die grausame und fantatische Mutter von [lexicon]Alessa[/lexicon] Gillespie versucht ihre eigene Tochter zu verbrennen,
    um einen Kultgott gebären zu lassen. Aus dem gesamten Handlungsverlauf kann man keine positiven
    Gefühle für ihre Tochter interpretieren, nur geheuchelte und jene, die ihrem eigenen Nutzen dienen.
    Außerdem steuert und belügt sie Harry. Sie verkörpert die typische, diabolische Frauenfigur und ist
    vollkommen eindimensional dargestellt.


    [lexicon]Alessa[/lexicon] Gillespie

    Als Kind etwas schwer zu analysieren, durch ihre detaillierten Hintergrund aber leichter zu betrachten als
    bspw. Cheryl oder Laura. Als Kind selbstverständlich abhängig von ihrer Mutter und demnach ihren
    fanatischen Idealen ausgesetzt. Allerdings entscheidet sie bereits im Alter von sieben Jahren einen Teil
    ihrer Seele abzuspalten, um ihre Mutter aufzuhalten. Mit 14 Jahren greift sie aktiv in die Geschehnisse
    ein und versucht mit dem Siegel von Metatron die Geburt des Kultgottes zu verhindern. Durch die
    Intrigen ihrer Mutter wird sie allerdings aufgehalten.
    [lexicon]Alessa[/lexicon] ist nicht nur frühreif, sondern in jeder Hinsicht eine dramatische Heldenfigur. Zunächst gepeinigt
    befreit sie sich in letzter Sekunde, um sieben Jahre später absolut gestärkt hervorzugehen. Fast wäre
    sie erfolgreich gewesen, scheitert aber am Ende, was sie zu einer dramtischen Figur macht. Sie nimmt
    letztlich sogar die Rolle einer Schöpferin ein, indem sie Harry ein Baby überreicht, bevor sie stirbt. Dass
    sie im Nachhinein als Heilige Mutter bezeichnet wird, ist also nicht aus der Luft gegriffen: Sie ist nicht
    nur heilig (Verwendung von METATRONs Siegel), sondern auch eine lebenerschaffende Muttter.


    Lisa Garland

    Die hübsche Krankenschwester ist [lexicon]Alessa[/lexicon] wohl positiv und fürsorglich in Erinnerung geblieben, aber im Moment
    ihres Alptraums ist sie an das Krankenhaus gebunden, ohne Möglichkeit sich zu befreien. Sie gleicht einem
    schönen Vogel in einem Käfig. Genauso findet Harry sie vor: Eingeschüchtert, ängstlich, anhänglich und unfähig,
    aus eigener Kraft diesen Ort zu verlassen. Nachdem sie herausfindet, dass sie eigentlich nicht existieren sollte,
    akzeptiert sie ihr Schicksal und geht zugrunde, was sie zu einer tragischen Figur macht. Sie ist ein wenig mit Maria
    aus Silent Hill 2 vergleichbar mit einem tragenden Unterschied: Lisa ergibt sich ihrem Schicksal, während Maria
    beginnt, zu kämpfen. Lisa ist daher eine insgesamt schwache Frauenfigur, die von dem Helden beschützt
    wird und mit der man Mitleid haben sollte.


    Silent Hill 2


    Mary Shepherd-Sunderland

    Zunächst eine glückliche Hausfrau wird sie im Verlauf ihres Lebens von einer unheilbaren Krankheit
    heimgesucht. Für James ist sie eine Art Lebenslicht, ein Engel, mit dem er viele schöne Erinnerungen
    erschaffen hat. Wie Mary zu dieser Zeit charakterlich beschaffen war, geht aus dem Spiel nicht hervor.
    Es ist zu vermuten, dass sie die typisch moderne Ehefrau war, die ihrem Ehepartner gleichgestellt ist.
    Nach ihrer Krankheit jedoch fängt sie an, sich bewusst von ihm zu distanzieren, um ihn nicht zu
    verletzten (was sie damit aber dennoch automatisch tut). Dadurch, dass sie James bewusst fortschickt,
    seine Geschenke ablehnt und ihn beschimpft, steht sie über ihm. Er selbst versteht ihre Andeutungen
    nicht, fehlinterpretiert sie und baut folglich eine Abneigung gegen seine Frau auf. Nachdem James das
    einzig Wichtige in seinem Leben zu verlieren scheint, ist er haltlos und verloren. Er sieht Mary immer
    mehr als Klotz am Bein, obwohl sie eigentlich das ist, was er braucht. Er tötet sie mit der
    Entschuldigung, sie habe ihn behindert, sich zu entfalten, wodurch Hass resultierte. In Wirklichkeit
    zerstört James so das Wichtigste in seinem Leben, was ihn letztlich vollkommen um seinen Verstand
    bringt. Mary wird von der starken, selbstbewussten und aufoperungsvollen Persönlichkeit zum Opfer
    männlicher Gewalt (ähnlich wie Marie in Büchners Woyzeck, mit dem Unterschied, dass Marie Woyzeck
    betrogen hat und so ein Opfer seiner Gewalt geworden ist). Sie ist letztlich also, wenn auch geistig
    überlegen, James’ körperlicher Stärke ausgeliefert.


    Angela Orosco

    Die 19-Jährige wirkt zunächst von Erscheinungsbild und Stimme her (evtl. der englischen
    Synchronisation geschuldet) viel älter, als sie tatsächlich ist. Dadurch wird sie schon als kleines Kind
    Opfer der sexuellen Triebe ihres Vaters. Sie verkörpert zunächst die typische Frauenfigur, die den
    Männern unterlegen ist und deshalb körperlich missbraucht wird. Sie befreit sich allerdings von diesem
    Stereotyp, indem sie ihren Vater umbringt. Der Mord beweist zum Einen ihre Stärke, andererseits die
    Auswegslosigkeit, in der sie sich befindet, und die in ihrer geistigen Verwirrung führt. Später ist sie
    eingeschüchtert, entschuldigt sich permanent (möglicherweise ein Überbleibsel ihrer körperlichen
    Schändung) und sehnt sich nach ihrer Mutter, die wahrscheinlich die einzige Bezugsperson für die darstellt (in
    einem Zimmer der Blue Creek Apartments, in der sie sich befand, findet man ein Foto, auf dem sie mit
    ihren Eltern zu sehen ist. Ihr Vater ist abgerissen). Außerdem treiben sie ihre Schuldgefühle in einen
    manisch-depressiven Zustand. Am Ende der Geschichte erliegt sie ihren Schuldgefühlen und wählt den
    Tod. Als Kind war sie stark genug sich aus den Fängen ihres Unterdrückers zu befreien. Als
    spätpubertierende "Frau" allerdings bricht sie unter dem Druck zusammen.


    Maria

    Eigentlich ein manifestiertes Produkt aus James’ Unterbewusstsein, verkörpert sie eine ideale Mary. Sie ist Stripperin
    im Heaven’s Night und aufreizend angezogen. Bei ihrem ersten Zusammentreffen mit James versucht sie ihn zu verführen,
    damit er sie mitnimmt („I look like Mary, don’t I? You loved her, right? Or maybe you hated her!?“). Allerdings
    ist sie weit mehr als die typische Verführerin. Im Zusatzszenario „Born From A Wish“ erfährt sie, dass sie nicht ohne
    James existieren kann und klammert sich so an ihr Leben. Sie ist eine moderne Frau, die Entscheidungen trifft und
    für ihr Leben kämpft. Immer wieder versucht sie James im Laufe der Handlung (auch durch Verführung) zu überzeugen,
    dass sie existiert („See? I’m real.“) und wählt damit den Kampf um ihr Leben, um ihre Existenz. In einem Ende versucht
    sie James sogar zu überzeugen, dass sie besser als Mary ist. Auch wenn Maria in nur einem Ende ihr Ziel erreicht,
    so steht sie für eine starke und selbstbewusste Frau seit dem Moment, in dem sie sich gegen den Selbstmord
    entscheidet und ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt. Sicherlich ist sie in den meisten Enden trotzdem eine
    tragische Figur, weil sie an James’ wahren Gefühlen scheitert.


    Laura

    Wenn auch noch keine Frau, sondern nur ein kleines Mädchen, soll Laura in dieser Analyse kurz erwähnt
    werden. Sie ist für ihr junges Alter (8 Jahre) sehr erwachsen, besonders wenn man bedenkt, dass sie
    ein Waisenkind ist. Das zeigt sich schon daran, dass sie allein nach Silent Hill geht, um Mary zu finden,
    die eine Mutterfigur für die Kleine angenommen hat. Ihre kindliche Naivität zeigt sich darin, dass sie
    glaubt, Mary wirklich an diesem Ort zu finden und nicht versteht, dass sie gestorben ist. Sie vertraut
    Fremden wie Eddie sofort, weiß aber andererseits eine gewisse Distanz vor James zu wahren
    (wahrscheinlich weil sie ihn nicht mag). Im positiven Ende schafft sie es, in eine glückliche Zukunft zu
    blicken, zusammen mit James. Sie ist eine untypische, abenteuerlustige, weibliche Kinderfigur, weil sie
    geistig schon so erwachsen und furchtlos wirkt. Ähnlich wie [lexicon]Alessa[/lexicon], die das Ruder selbst in die Hand
    nimmt und versucht, sich nicht abhängig von Erwachsenen zu machen.



    Silent Hill 3


    Heather Mason

    Heather ist die mit Abstand modernste Frauenfigur der Silent Hill Reihe. Mit ihren blonden, kurzen Haaren verkörpert
    sie das moderne, unabhängige Mädchen. Fremden gegenüber ist sie misstrauisch und tritt ihnen stark und frech
    gegenüber („Are you still following me? Do I have to scream?“). Nicht nur Douglas, auch Vincent traut sie nicht sofort
    und vor Claudia spricht sie offen ihre Gefühle aus, indem sie ihr sagt, dass sie ihren Glauben nicht teilt.
    Nachdem ihr Harry genommen wird, tritt sie in die Rolle der Rächerin. In klassischen Erzählungen stehen eigentlich Männer
    in der Rolle des Rächers, nachdem ihnen die weibliche, meist geliebte, Hauptfigur genommen wird. Heather aber
    rächt ihren Vater und schließt ein Bündnis mit Douglas, mit dem sie letztlich sympatisiert und so einen Funken
    Abhängigkeit offenbart. Sie kommt mit absoluter Einsamkeit nicht zurecht und sieht in Douglas eventuell sogar eine neue Vaterrolle.
    Dennoch steht sie Claudias Machenschaften bis zum Ende durch und besiegt den Kultgott, wie eine moderne
    Abenteuerheldin, allein. Weder am Tod ihres Vater, noch an ihrer daraus resultierenden Einsamkeit zerbricht sie,
    sondern sieht nach vorne in die Zukunft. Sie ist mit Sicherheit die reifste Frauenrolle in der Silent Hill Reihe.


    Claudia Wolf

    Nicht ganz die typisch diabolische Antagonistin. Sie geht zwar über Leichen (Harrys Ermordung) und
    glaubt, dass das wahre Paradies aus Schmerz und Leid geboren wird, unterscheidet sich aber in einem
    ganz wesentlichen Punkt von Dahlia Gillespie: Sie bereut ihre Taten und erwartet dafür Gottes Strafe.
    Ihre Motive sind durchaus verständlich, weil sie sich, von ihrem Vater geschlagen und geschändet, nur
    eine bessere Welt wünscht, in der jeder, auch Sünder, Erlösung finden. Allerdings ist ihr von Dahlia
    manipulierter Verstand (Zitat Vincent: „She was totally brainwashed by that crazy old hag!“) und ihre
    fanatischen Ideale zu radikal. Sie ist die moderne, dreidimensionale Antagonistin, die man als Zeuge der
    Handlung verstehen und in die man sich hineinversetzen kann.



    Silent Hill 4


    Cynthia Velasquez

    Sie ist neugierig, attraktiv, verführerisch. Cynthia verkörpert wohl die typische Verführerin, wie sie im
    Buche steht. Aus dem Crimson Tome erfahren wir, dass sie schon als kleines Kind auf großen Partys
    unterwegs war. Auch Henry gegenüber erscheint sie lustvoll und verspricht ihm „a special favor“
    (offensichtlich Sex), wenn er ihr hilft. Von Walter Sullivan wird sie übel zusammengeschlagen und
    entstellt. Damit verliert sie ihre Position als allen übergeordnete, mächtige Verführerin und landet hilflos
    und sterbend in Henrys Armen, auf dem Boden der Tatsachen.


    Eileen Galvin

    Bei ihrer ersten Begegnung mit Walter Sullivan schenkt sie ihm ihre Puppe. Als einzige Person, die
    Walter freundlich und offen gegenübertrat, nimmt sie für ihn die Rolle der wiedergeborenen Mutter
    ein. Ihre Mutterrolle ist es auch, die sie vor dem Tod rettet, indem sie vom kleinen Walter gerettet
    wird – auch wenn sie dabei übel zugerichtet wird. Im weiteren Verlauf ist sie von Henry abhängig und
    muss von ihm behütet werden. Einerseits muss er sie vor Monstern beschützen, andererseits vom
    immer weiter ansteigenden Grad ihrer Besessenheit. Die „ultimative Wahrheit“ müssen sie allerdings
    zusammen finden. Ohne Eileen ist Henry Walters Ritual hilflos ausgeliefert, weil dann auch seine
    Besessenheit zunimmt, wie bei allen vorigen Opfern auch. Eileen ist so zwar eine abhängige Frau, aber
    dann wieder auch eine gleichgestellte Partnerin auf der Suche nach der Lösung des Rätsels. Ihre
    Gutherzigkeit macht sie zu einer besonders beliebten Frauenfigur, die die Mutterrolle verkörpert.



    Homecoming


    Elle Holloway

    Eine starke Persönlichkeit, die, auch nachdem ihr einziger Freund verschwunden ist, das Ruder in die Hand nimmt
    und auf eigene Faust die Verschwundenen aus Shepherd’s Glen sucht. Sie macht sich nicht abhängig von einer
    Männerrolle, sondern arbeitet auf eigene Faust. Erst am Ende fällt sie in die Fänge ihrer fanatischen Mutter und
    mus von Alex gerettet werden. Die vorher so starke Frau wird auf diese Weise wieder auf das kleine, hilflose
    Mädchen reduziert, das den Held der Geschichte benötigt, um gerettet zu werden. Für die Lösung der Geschichte
    spielt Elle dann keine große Rolle mehr.


    Margaret (Judge) Holloway

    Gut mit Dahlia vergleichbar. Zeigt ihr falsches Gesicht als Maskerade. In Wirklichkeit aber ist sie kalt und
    opfert ihre eigene Tochter Nora, um den Orden von Silent Hill zufrieden zu stimmen. Im weiteren
    Verlauf ist sie sogar bereit, ohne Reuegefühle ihre noch verbleibende Tochter dem Tod auszusetzen.
    Sie ist eine eindimensionale, diabolische Antagonistin.


    Lillian Shepherd

    Alex’ Mutter trägt, ähnlich wie Judge Holloway, verschiedene Masken, um ihre wirklichen Gefühle zu
    verstecken. Der Unterschied ist, dass sie unter dieser Maske noch ein eigenes Gesicht versteckt. Diese
    äußerst schwache, unmündige und von ihrem Mann abhängige Rolle macht ihr sehr zu schaffen. Sie ist
    hin und her gerissen zwischen den Pflichten, die sie als Frau der Familie Shepherd hat, und ihrer Liebe
    zu ihren beiden Söhnen. Lillian ist eine tragische Figur, die zu keinem Punkt der Handlung wirklich stark
    ist. Zunächst konfrontiert sie Alex nur mit ihren Masken, danach macht sie sich nach seiner Rückkehr
    von ihm Abhängig und gesteht kurz vor ihrem Tod ihre eigene Schwäche. Vielleicht war ihr Geständnis
    die einzige Stärke, die sie in ihrem Leben aufbringen konnte.



    (c) Julian Jungermann
    Reisemotive in der SH-Reihe





    Die Reise einer Figur als Motiv innerhalb einer Handlung


    Das Reisemotiv ist eines der beliebtesten Aufhänger, wenn es um den
    Start einer Handlung geht. Es ist allerdings nicht immer davon auszugehen,
    dass Reisen lange andauern und viele, verschiedene Settings beinhalten.
    Eine Reise kann auch einfach von Punkt A nach Punkt B sein, solange sie
    unter einer bestimmten Intention steht. So haben wir z.B. die Reisen des
    typischen Abenteurers, der auf der Suche nach einem Schatz ist oder ein
    bestimmtes Geheimnis erforschen will. Solche Figuren sind nicht nur in der
    Literatur, sondern auch in Videospielen sehr beliebt – siehe besonders
    Rollenspiele, die fast immer unter einem Reisemotiv aufgezogen werden
    oder erfolgreiche Abenteuer-Spiele wie Tomb Raider. Die typische
    Prototyp-Figur wäre wahrscheinlich Indiana Jones. Ein weiterer Grund, eine
    Reise anzutreten, ist zu therapeutischem Zweck. Besonders in
    romantischer Schreckensliteratur gehen psychisch kranke Figuren auf lange
    Reisen durch die Natur, um ihre Psychose zu kurieren und ihrem Geist Ruhe
    zu verschaffen (z.B. Büchners Lenz). Andere Gründe, um kurz noch ein paar
    weitere zu nennen, wären eigene Ausgrenzung, freiwillige oder
    erzwungene Flucht (z.B. aus afro-amerikanischen Slave Narratives im
    Kontext der Great Migration), Arbeitssuche (Steinbecks Of Mice and Men)
    oder um eine bestimmte Person zu rächen – die typische, ausgegrenzte Rächerfigur.
    Im weiteren Verlauf werden die Reisemotive in der Silent Hill Reihe
    analysiert und darauf geachtet, um welche Gründe es sich jeweils handelt.
    Sind sie kategorisierbar?



    Silent Hill 1


    Harry und Cheryl befinden sich anfangs auf einer Reise in den Urlaub. Der
    Urlaub ist hauptsächlich dazu gedacht, um Cheryls ständigen Unmut zu
    beseitigen, der ihr im Zusammenhang mit der Stadt aufkommt. Man kann
    also im weitesten Sinne von einer Reise als Heiltherapie sprechen, d.h. um
    eine bestehende Sorge durch positive Erlebnisse zu kurieren.
    Diese Art von Theapie tritt häufig in älterer Literatur auf (z.B. Arthur
    Schnitzlers Flucht in die Finsternis oder J.W.v. Goethes Die Leiden des jungen
    Werther
    ), um den psychisch instabilen Zustand von Patienten zu
    bekämpfen. Dann kann Stress sein, reicht aber bis hin zur Bekämpfung
    einer Psychose. Harry und Cheryl reisen also als eine Art Therapie, was
    Harry mit dem Begriff Urlaub verschleiert. Im weiteren Verlauf des Spiels
    ändert sich dieses Motiv aber und wird zu Harrys Suche nach seiner
    Tochter. Diese Reise endet allerdings in der Katastrophe, dass Cheryl wieder
    ein Teil von Alessa wird und folglich als Individuum stirbt.



    Silent Hill 2


    Die Reisemotive in Silent Hill 2 sind stark von einem Aufklärungsdrang und
    Fluchtgedanken geprägt. James reist in die Stadt Silent Hill, um das
    Geheimnis zu lüften, das über seine verstorbene Frau aufgekommen ist,
    von der er obskurerweise einen Brief erhalten hat. Angela ist nach der
    Flucht von zu Hause auf der Suche nach ihren Angehörigen, weil sie
    indirekt Zuneigung und Verständnis sucht. Eddie flieht vor der Polizei,
    nachdem er ein Tier getötet und einen Menschen schwer verletzt hat. Er
    leidet zudem unter Paranoia, was seine ständige Flucht und sein Misstrauen
    gegenüber anderen noch intensiviert. Laura ist wie James auf der Suche
    nach Mary – allerdings sucht sie die Person selbst, James versucht sich die
    unlogische Situation zu erklären, in dem er sich befindet. Sie reist auf
    eigene Faust und erwartet am Ende ihrer Suche, dass sie glücklich mit Mary
    vereint sein kann.
    Während also Eddie und Angela Einsiedler sind, die mitleidsuchend vor der
    Welt wegrennen, sind James und Laura Abenteurer, die nach einer
    bestimmten Wahrheit suchen – der Tatsache, dass sich Mary in Silent Hill
    befindet – und einem bestimmten Glück, das sie aus ihrem Status quo
    befreit.



    Silent Hill 3


    Bei Heather begegnet uns ein Reisemotiv, das für den Rest der Serie eher
    untypisch ist: Die Drang nach Rache. Rache ist weder ein Mittel der
    Selbsttheapie, weil sie den kranken Zustand nicht kuriert, noch erreicht
    man dadurch ein bestimmtes Ziel, das zum eigenen Glück führt. Natürlich
    ist von der Reise nach Silent Hill die Rede. Eine Reise, an deren Ende
    Heather aber nicht nur Rache ausüben kann, sonderen während der sie
    ihre eigene Wahrheit nach und nach aufdecken kann. Zwar getrieben von
    Rache hilft ihre Reise nach Silent Hill ihr, sich selbst besser zu verstehen.
    Daher handelt es sie ebenso um eine Bildungsreise. Die Flucht nach Hause
    zu Beginn des Spiels darf aber nicht unterschlagen werden: Heather flieht
    nach Hause – einem Ort, der symbolisch immer eine Zuflucht meint und
    der Geborgenheit repräsentiert (je nach Elternhaus natürlich). Douglas’
    Motiv für die Reise nach Silent Hill heißt Nächstenliebe. Er fühlt sich
    verantwortlich für das, was Heather widerfahren ist. Er ist vielleicht die
    gutherzigste Figur in der Silent Hill Reihe, weil er die gefährliche Reise
    vollständig aus uneigennützigen Gründen heraus antritt. Er ist der typische
    Reisebegleiter der Hauptfigur, nimmt zudem aber auch eine Vaterrolle ein
    (versucht das zumindest). Er wacht über Heather, bindet sein Schicksal an
    ihre Aufgabe.



    Silent Hill 4


    In keinem Silent Hill Teil ist das Reisemotiv ausgeprägter. Vom zentralen
    Ausgangspunkt Zimmer 302 aus reist Henry durch die Welten, die Walters
    Unterbewusstsein konzipiert hat. Dabei ist nicht ganz klar, ob er nun
    selbstständig reist oder im Endeffekt auf der Flucht ist, bedenkt man seine
    Opferrolle. Zum Einem sucht er aktiv nach einem Ausweg aus seiner
    Misere. Andererseits ist er immer auf der Flucht vor Walter, der ihn als 21.
    Opfer auserkoren hat. In der Hälfte des Spiels bringt er sich allerdings
    selbst als Abenteurer ins Gespräch: Zusammen mit Eileen Galvin erforscht
    er die Tiefen von Sullivans Unterbewusstsein, um die Ultimative Wahrheit
    zu finden und Walter aufzuhalten.
    Der Massenmörder selbst darf aber ebenfalls nicht vernachlässigt werden.
    Walter Sullivan ist wie Henry auf einer langen Reise, um sein Ritual zu
    vollziehen. Diese führt ihn an die unterschiedlichsten Orte, um seine Opfer
    zu töten. Er hat ein klares Ziel vor Augen und muss dafür unzähliche
    Settings erforschen – Sullivans Reise erinnert etwas an die langen,
    facettenreichen Reisen in japanischen Rollenspielen (natürlich mit einem
    nicht zu vernachlässigendem perversen Beigeschmack).



    Silent Hill Origins


    Travis’ Berufung als Trucker macht ihn zu einem konstanten Reisenden.
    Allerdings hat er kein wirkliches Ziel. Geplagt von seinen traumatischen
    Erinnerungen ist er eher auf der Flucht, als auf der Suche nach etwas. In
    Silent Hill wird er schließlich mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Dabei
    wird er, wie z.B. Cybil aus dem ersten Teil der Serie, mehr zufällig in die
    Geschehnisse verwickelt. Travis erreicht ein Ziel, das er nicht gesucht hat
    und denkt die Geheimnisse seiner verschleierten Vergangenheit auf,
    während er gleichzeitig ein Instrument für Alessa Gillespie darstellt.
    Nachdem er also zunächst flieht, entwickelt er sich zum Abenteurer. Er ist
    mehr und mehr um das Schicksal der kleinen Alessa bekümmert und findet
    dabei immer mehr über sich selbst heraus.



    Homecoming


    Ob Alex nun körperlich reist oder nur geistig hängt vom Ending ab, das sich
    der Spieler verdient. Lang ist seine Reise auf jeden Fall. Sie führt ihn in
    seine Heimat Shepherd’s Glenn, eine Flucht also in die diesmal nicht so
    rosig in Erinnerung gebliebene Heimat. Allein die Sorge um seinen Bruder
    lässt ihn diesen Zwischenstop machen. Zur Flucht aus dem obskuren
    Krankenhaus kommt also noch das Motiv der Bruderliebe hinzu (vom
    wirklichen Ausgang der Geschichte natürlich erstmal vollkommen
    abgesehen). Im nächsten Augenblick ist Shepherd’s Glenn der
    Ausgangspunkt einer neuen Reise. Sie führt nach Silent Hill und steht
    immer noch unter dem Zeichen der Nächstenliebe – insofern gleicht Alex
    Douglas Cartland ein wenig, weil er seine Reise aus uneingennützigen
    Gründen antritt. Dann wiederum gleicht Alex auch James, weil er – zwar
    unbewusst – auf der Suche nach der Wahrheit ist. Alex ist ein schwer
    einzuordnender Hybrid: Einerseits flieht er (vor seiner Vergangenheit),
    stellt sich vollständig in den Dienst seines Bruders und deckt letztlich seine
    Vergangenheit doch auf, was ihn zum Flüchtling, zum Selbstlosen und zum
    Abenteurer zugleich macht.



    Shattered Memories


    Um über die Reise von Harry schnell ein paar Worte zu verlieren: Wie in
    Silent Hill 1 ist er natürlich auf der Suche nach seiner Tochter. Gleichzeitig
    aber wird er mit Fakten der Vergangenheit konfrontiert – er ist demnach
    auch ein Erforscher, wenn auch unfreiwillig.
    Die wahre Reisende ist allerdings Cheryl, auch wenn sie sich im ganzen Spiel
    selten vom Fleck bewegt. Ihre Reise spielt sich in ihrem Kopf ab und es ist
    ein konstantes Wechselspiel zwischen der Suche nach der Wahrheit und
    der Verdrängung dieser. Einerseits verweigert sie die Tatsachen aufgrund
    des Schmerzes, der mit ihnen zusammenhängt, was sich durch das Eis
    manifestiert, das Harry zurückhält. Dann aber erfährt sie durch Harry immer
    mehr, was unweigerlich zur Einsicht führt – auch wenn der Weg lang und
    steinig war. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Cheryls Reise eine
    Mischung aus eigener Isolation vor der Wahrheit (im weitersten Sinne:
    Flucht) und der Erforschung eben dieser Wahrheit repräsentiert.




    (c) Julian Jungermann
    Gewaltdarstellung (und daraus resultierende Identitätsbildung)




    Gewalt medienübergreifend


    Gewaltausübung taucht für die breite Masse vorzüglich in Filmen und Videospielen auf. Das sind auch die Medien, in denen sie am meisten diskutiert wird. Ein Begriff sind „Splatter-Filme“, ein anderer „Killerspiele“. Oft wird daran gedacht, die entsprechenden Artikel aus dem Verkehr zu ziehen. In der Literatur begegnen wir ebenfalls Gewalt, aber sie fällt nicht allzu häufig auf. Wenn sie allerdings bemerkt wird, dann oft mit einem flauen Nachgeschmack im Magen. Der Leser entscheidet im Anschluss meist in Hinblick auf die literarische Darstellung von Gewalt, ob das Buch gut oder schlecht ist. Gewalt ist jedoch, wenn hoch dosiert und detailliert beschrieben, in den meisten Fällen ein literarisches Mittel, um etwas anderes zu erklären oder einzuleiten. So muss bei einem hohen Gewaltaufkommen in Literatur immer hinterfragt werden, warum der Autor sie so genau beschreibt. Handelt es sich hier tatsächlich um ein Genremerkmal oder dient sie einem höheren Zweck?
    Diese Frage wollen wir uns nun auch bei Videospielen stellen.



    Silent Hill Origins


    Es taucht überwiegend psychische Gewalt in Bezug auf Travis Grady auf, dessen grausame Kindheit nach und nach enthüllt wird. Dazu gehören tramatische Ereignisse wie der Besuch seiner Mutter im Sanatorium und dem Selbstmord seines Vaters. Bei ersterem wurde ihm ebenfalls körperliche Gewalt angetan, was aus der Geisteskrankheit seiner Mutter resultierte. Im Großen und Ganzen ist das Ergebnis dieser Gewalt der Charakter von Travis Grady, der weder interessiert an Frauen ist (eventuell sogar Angst vor ihnen hat), noch an sonstigen sozialen Bindungen mit Menschen. Dass eine solche Figur trotzdem so viel Mitgefühl für Alessa Gillespie aufbringen kann, ist erstaunlich. Vielleicht gerade, weil er seine Leiden in ihr wiedererkennt – besonders die einseitige Beziehung zur Mutter – und ihr deshalb helfen will?
    Die Gewaltdarstellung an Alessa Gillespie hält sich überwiegend im Rahmen und ist nur am Anfang des Spiels deutlich. Dazu gleich mehr.



    Silent Hill 1


    Gewalt findet überwiegend in der Otherworld statt. Sie geht also von Alessa Gillespie aus und weist in allen Fällen auf irgendetwas hin. Oft zu sehen sind die Leichen – meist in Verbindung mit Stacheldraht und Blut. In diesem Fall ist Gewalt eher ein Resultat, das auf die Ursache zurückverweist: Ihre Peiniger hängen (im übertragenden Sinne) blutend am Stacheldraht; Auge um Auge, Zahn um Zahn.
    Die Gewalt, die an Alessa ausgeübt wurde, ist eine andere Sache. Die Verbrennung ihres Körpers und der Aufenthalt im Keller des Krankenhauses, die unmenschliche Behandlung und die fehlende/falsche Mutterliebe sind die wichtigsten Faktoren (oder die zuvor angesprochenen Ursachen, die Alessas Verhalten erklären. Im weitesten Sinne: Gewalt ruft Gewalt hervor. Andererseits hat die Gewalt, die an ihr ausgeübt wurde, bewirkt, dass Alessa eine Entscheidung getroffen hat. Sie klammert sich nicht mehr länger an ihre Mutter, sondern erkennt, dass sie eine eigene Entscheidung treffen muss, die ihrer Mutter nicht gefallen mag. Wir sprechen also von einer typischen Charakterentwicklung, wie sie im Bildungsroman zu finden ist: Die Figur ist abhängig, die Figur lernt dazu (in diesem Fall durch Gewalt), die Figur lernt als Resultat selbst zu denken und eigene Entscheidungen zu treffen.
    Weitere Gewaltausübung, wie etwa an Lisa oder Cybil, ist weitgehend eindimensional und dient nur dazu, die Antagonisten noch böser darzustellen, als sie ohnehin schon sind, und die Einzelschicksale der Figuren dramatischer zu gestalten. Cybil und Lisa können sich zumindest nicht gegen die Gewalt wehren und müssen entweder gerettet werden oder kommen gar um.



    Silent Hill 2


    Einer der größten Gewaltaufkommen finden wir im Kontext von James’ Geschichte. Hier ist alles dabei: Körperliche Gewalt (darüber auch sexuelle Gewalt) und verschiedene Formen der psychischen Gewalt. Pyramid Head, der auf die bizarrsten Methoden, mit Schwert und Speer, Monster (und Maria) tötet und vergewaltigt. Eddie, der von Menschen gequält wird, diese dann im Nachhinein quält und einen Hund erschießt; seine Psychose in der Parallelwelt auslebt, indem er wild mit seiner Waffe auf „Menschen“ schießt und letztlich von James getötet wird. Angela, die von ihrem Vater misshandelt wird und ihn im Gegenzug ersticht. Und natürlich die ultimative Tat: James ermordert seine Ehefrau als Resultat aus psychischer Belastung und unbefriedigter Sexualität. Die Gewalt ist hier alles andere als bloßes Survival-Horrir-Genre-Mittel. Sie ist ein Ausdruck.
    Der Schlächter mit dem Pyramidenkopf ist ein Abbild von James, ein Ausdruck seines Mordes und gleichzeitig sein Richter. Die Gewalt, die Pyramid Head ausübt, repräsentiert James’ eigene Gewalt. Aber auch seine Sehnsucht. Die Sehnsucht nach Sexualität und die nach dem Tod. Immer und immer wieder mit seiner eigenen Gewalt konfrontiert zu werden endet schließlich damit, dass James – je nach Ende – seine Meinung ändert und beschließt, dass er weiterleben muss. Im Idealfall gesteht er seine Tat ein, akzeptiert seine Schuld und bittet um Vergebung und ein neues Leben. Diese Charakterentwicklung ist allerdings nicht immer gegeben.
    Die Schicksale seiner Mitstreiter sehen nicht so rosig aus: Eddie endet damit, von James getötet zu werden, nachdem er die Gewalt, die er ausgeübt hat, sogar begeistert zur Schau stellt. Seine gestörte Persönlichkeit ist das Resultat des Mobbings – also der psychischen Gewalt –, mit dem er gequält wurde. Angelas Lösung ist, ihren Vater umzubringen. Allerdings begreift sie schnell, dass sie schuldig ist – ohne jedoch Vergebung zu verlangen, sondern Bestrafung. Sie geht freiwillig in den Tod.



    Silent Hill 3


    Auch der dritte Teil der Silent Hill Reihe legt in Sachen Gewalt nach. Die meisten Formen deuten aber auf die gleiche Ursache zurück. Die Gewalt, die der Kult an Alessa verbrochen hat und an Harry Mason ausübt, brodelt innerhalb von Heather und erzeugt Bilder wie die vielen Leichen (eine davon hängt an der Decke mit aufgeschlitzter Kehle, eine andere stellt Lisa dar, eine weitere Alessa selbst). Außerdem ermordet Claudia Vincent aus Verzweiflung und Heather die „Monster“ aus Hass und Rachegelüsten. Leonard Wolf will Heather aus Glaubensgründen töten. Letztere Taten spiegeln die Charaktere selbst wider: Claudia ist ein unsicheres Kind, dass von ihrem Vater misshandelt wurde und sich gegen ihn nicht wehren konnte. Leonard selbst ist ein gewalttätiger Glaubensfanatiker. Heathers Rachegelüste kommen größtenteils von ihrem früheren Ich.
    Trotz allem gibt es auf Seiten von Heather eine Charakterentwicklung. Als Resultat auf die Gewalt, die an Alessa ausgeübt wurde und mit der sie nun konfrontiert wird, trennt sie sich deutlich von ihrem früheren Ich ab und entscheidet letztlich sogar, dass sie Cheryls Reinkarnation ist, nicht Alessas. Damit macht sie sich frei von Alessas Schmerz und ihren Qualen, auch wenn sie all das akzeptiert und nicht verleugnet.



    Silent Hill 4


    Die stereotypischsten Formen von Gewalt befinden sich im vierten Teil der Serie. Die Gewalt geht zunächst allein von Walter Sullivan aus, der selbst gequält wurde. Die perverseste Form der Gewalt, für die ich keinen Ausdruck finden kann, ist als Säugling von seinen Eltern verstoßen zu werden. Danach körperliche Misshandlung im Gefängnisturm, ausgehend von Andrew DeSalvo. Letztlich psychische Gewalt, ausgehend von Richard Braintree (und auch Cynthia Velasquez). Eine weitere Form von Gewalt ist die Konditionierung, bzw. Erziehung durch Jimmy Stone und George Rosten, die ihn – so könnte man es sehen – zum Massenmörder gepolt haben. Die Formen der Gewalt, die Walter seinen Opfern antut, steht oft im engen Zusammenhang zu der Charakterisierung jener Figuren (siehe dazu Walters Ritual), d.h. die Gewalt, die Walter erfahren hat, gibt er nun zurück. Es ist weder „Auge um Auge – Zahn um Zahn“ noch lässt sich eine Charakterentwicklung ableiten. Walter ist schlichtweg ein Massenmörder, der seine Morde nach einem gewissen Muster plant – auch wenn es ein tiefgründiges Muster ist.



    Homecoming


    Die Gewalt des NextGen Titels erinnert stark an Splatterfilme. Oft exzessiv und detailverliebt dargestellt (Pyramid Head spaltet Adams Körper oder Lillians Körper wird bis zur Zweiteilung gestreckt; Elle wird an einen Stuhl gefesselt mit einer Kreissäge bedroht und Alex bekommt bei der Folter mit einem Akkuschrauber den Oberschenkel durchbohrt), auch im aktiveren Kampfsystem integriert (ausweichen, kontern mit dem Messer) und last but not least in der Thematik des Kindermords festgehalten (ob nun lebendig begraben, aufgeschlitzt oder erdrosselt). Alex’ „versehentliche“ Tötung des kleinen Bruders erscheint da fast noch harmlos, ebenso wie seine eigene Vernachlässigung durch die Eltern in seiner Kindheit. Dennoch ist diese Vernachlässigung der Kern des Spiels, dann daraus resultiert der Streit mit Josh über das Familienerbstück und der Tod des kleinen Bruders (und letztlich Alex’ Psychose, d.h. der Irrtum über sein Soldaten- und Beschützertum, also die Realitätsverweigerung). Die restliche, exzessive Gewalt geht überwiegend vom Kult aus und ist eher primitiver Natur („Ihr haltet euch nicht an die Regeln – wir töten euch! – oder lassen es Pyri tun…“), so wie die Ermordung der eigenen Kinder eine hoffnungslose Tat ohne viel Sinn darstellt. Hier hat wohl der Entwickler gedacht, dass ein NextGen Silent Hill Titel viel Genre-Gewalt benötigt, damit er gespielt wird.


    Wir warten alle gespannt auf „Silent Hill Downpour“, das in Sachen Gewalt wieder interessant werden dürfte.
    Psychosen der handelnden Figuren




    Psychosen als Stilmittel in der Literatur

    Geistige Instabilität der Figuren aufgrund von Krankheiten in psychischen Bereich ist ein interessantes Stilmittel in Literatur und Film, weil die betroffenen Figuren oft unberechenbar sind und zu Handlungen neigen, die man ihnen vorher nicht zugetraut hätte. Nicht selten bemerkt man erst im späteren Verlauf und in Verbindung mit einer großen Überraschung, dass die Figuren tatsächlich geistig krank sind. Interessant wird es aber erst so richtig, wenn die Hauptfigur unter einer Psychose leidet. Dann spricht man in vielen Fällen (z.B. Ich-Erzählung) vom „unzuverlässigem Erzählen“, weil man den Schilderungen der Hauptfigur nicht mehr vertrauen kann.
    In diesem Teil wird das Gebiet der Psychosen auf Videospiele angewendet. Es sei vorher noch anzumerken, dass mit keinen psychologischen Fachbegriffen argumentiert werden kann. Ich werde mich dem Gebiet aus der Richtung des Mediums nähern, weil meine Kenntnisse im Studiengebiet Psychologie unzureichend sind.


    Silent Hill Origins

    Origins wirft mit psychisch kranken Figuren nur so um sich. Da haben wir Travis Grady, der unter einer Triebstörung leidet, die sich in Form der Towbacks materialisiert.
    Außerdem scheint Travis die Vergangenheit zu verdrängen, bzw. psychisch instabil von der Konfrontation mit seiner ebenfalls geistig kranken Mutter geworden zu sein, die ihn töten wollte. Womit wir zu Helen Grady übergehen können, die unter der paranoiden Angst leidet, Figuren hinter den Spiegeln zu erkennen, was auch auf eine Schizophrenie schließen lässt. Das ganze kulminiert darin, dass sie einen Dämon in ihrem eigenen Sohn sieht und ihn versucht, zu töten (für Travis materialisiert sich die Furcht vor diesem Dämon wahrscheinlich in Form des Butchers). Richard Grady, Travis’ Vater, wird letztlich manisch-depressiv, sieht keinen Sinn mehr in seinem Leben, was im Selbstmord endet. Man kann also festhalten, dass das gesamte Grady-Geschlecht psychische Krankheiten erleidet.
    Da Travis die Hauptfigur ist, bedeutet das für den Spieler, dass er seine Vergangenheit unfreiwillig erfährt – Travis würde sie lieber für sich behalten, aber wir stoßen trotzdem darauf. Travis erzählt die Geschichte zwar nicht als Ich-Erzähler, ist aber trotzdem als Figur unzuverlässig, weil er Dinge verheimlicht. Das kurbelt natürlich den Spannung-Apparat an. Der Spieler bekommt die interessanten Dinge verheimlicht, stößt erst später darauf.


    Silent Hill 2

    Wieder ein Spiel voller Psychosen. Da haben wir James, der einen Mord verdrängt. Er baut eine alternative Realität auf, in der er seine Frau nicht getötet hat. Er ist außerdem triebgestört, seitdem Mary unter ihrer Krankheit leidet, was sich in den Mannequins widerspiegelt. Ohne ein für James’ Fall gerechtes Fachwort zu kennen, würde ich seinen Fall unter den Begriff „Realitätsverdrängung“ packen – also schon sehr stark psychotisch.
    Dann haben wir Angela, die unter manischer Depression leidet. Einen Suizidgedanken bekommt James in den Blue Creek Apartments mit, am Ende begeht sie den Suizid tatsächlich. Eddie wurde durch die Hänseleien seiner Mitmenschen psychisch Instabil, was darauf hinauslief, dass er seine Wut nicht mehr zügeln konnte und mit einer Waffe auf einen Menschen und einen Hund losging. Wieder ohne den korrekten Begriff zu kennen, ist Eddie der typische Psychopath. Er leidet weiterhin unter paranoiden Wahnvorstellungen, indem er ständig denkt, seine Mitmenschen wollen ihm Böses.
    Da James der typische Ich-Erzähler ist (anders natürlich als in der Literatur, wo der Ich-Erzähler 100% Anteil an der Erzählung hat und im Videospiel mehr Interaktion stattfindet), haben wir einen klassischen Fall unzuverlässigen Erzählens. James teilt dem Spieler seine verzerrte Sicht der Dinge mit, ohne dass es er besser könnte, d.h. er lügt oder verheimlicht nicht, wie man etwa Travis Grady unterstellen könnte. Der Höhepunkt befindet sich sowohl für den Spieler als auch für James in der Enthüllung der Wahrheit, von der beide Instanzen nichts wissen konnten.


    Silent Hill 3

    Man könnte hier Heather erwähnen, allerdings kommt Silent Hill 3, wie auch Silent Hill, auch gut ohne Psychosen aus. Heather verdrängt nichts direkt, aber sie ist in einem Prozess der Erinnerungswiederfindung. Dieser Prozess macht sie psychisch ziemlich fertig, macht sie mit Sicherheit instabil, erzeugt aber nicht direkt eine Psychose. Ein interessanter Fall zur Diskussion.


    Silent Hill 4

    Hier lässt sich natürlich Walter Sullivan anführen, der vollkommen durch den Wind ist. In seiner Kindheit ausgesetzt, im Waisenhaus geschlagen und unter strengem Dogma erzogen hinterlässt schlimme Spuren in seiner Psyche. Er hält Henrys Zimmer für seine Mutter, versteift sich durch Dahlias Einflüsse auf die Wiederbelebung seiner Mutter und wird nach und nach zum Psychopathen. Man könnte darüber diskutieren, ob er im späteren Verlauf allerdings nicht mehr als eine Marionette ist.


    Homecoming

    Als Abklatsch von Silent Hill 2 findet sich hier natürlich wieder die Realitätsverdrängung der Hauptfigur, weil sie einen geliebten Menschen getötet hat – genau das gleiche Schema samt unzuverlässigem Erzähler. Der einzige Unterschied ist, dass Alex nicht der Erzähler der Geschichte ist, sondern nur eine Figur. Einen psychotischen Zustand der Stagnation kann man sicher auch seiner Mutter Lilian zuschreiben, wahrscheinlich aufgrund von Einsamkeit oder auch resultierend aus dem Tod ihres Sohnes. Auch Fitch leidet unter Paranoia und Depression, weil er seine Tochter getötet hat.


    Shattered Memories

    Cheryl verdrängt ebenfalls, nämlich den Tod ihres Vaters. Je nach Ending verdrängt sie außerdem die wahre Natur ihres Vaters. Die Frage ist allerdings, ob sie als Figur oder als Erzähler unzuverlässig ist. Spielen wir ihre fehlerhafte Erzählung oder ihre verdrehte Erinnerung? Als Erzählinstanz tritt sie jedenfalls zu keinem Zeitpunkt auf. Interessant ist aber, dass wir durch die Monster und das Eis sogenannte „Agents of Repression“ vorgestellt bekommen, also konkrete Werkzeuge ihrer Psyche, das Wahre zu verdrängen.
    Selbstreflexion der Figuren in ihrer Umgebung




    Selbstreflexion in der Literatur

    Zumeist aus der Romantik und der Empfindsamkeit bekannt. Die handelnden Figuren übertragen meist ihre Gefühlswelt in ihre Umgebung oder deutlicher: Die Natur spiegelt die Gefühlswelt der Figuren wider. Dabei ist die Natur aber kein Handlungsträger. Vielmehr geschieht diese Transformation der Natur durch die Brille der Figur, d.h. wenn es der Figur schlecht geht, sieht die Natur trist und öde aus, es regnet oder stürmt. Schnee kann für den Lebensabend stehen, Sonne und grüne Natur für einen (extatischen) Glücksmoment. Allerdings sind diese Eindrücke nicht immer nur subjektiv von der handelnden Figur ausgehend. Oft stehen die Natur und die Gefühlswelt einer Figur in Wechselwirkung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig. In der Gothic Fiction kommt ein anderer Begriff ins Spiel, der sich „Semantisierung des Raumes“ nennt, was so viel bedeutet wie „Bedeutungsgebung eines Raumes“, wobei ein Raum im Sinne von space verstanden wird, also jegliche Schauplätze des Settings. Innerhalb dieses Raumes gibt es dann bestimmte Symbole, wie z.B. Spiegel, bedeutungstragende Blumen etc., die in irgendeiner Hinsicht mit den Figuren in Zusammenhang stehen können.
    Silent Hill ist eine Videospielreihe, in der diese Selbstreflexion in der näheren Umwelt eine sehr große Rolle spielt, besonders weil wir es zumeist mit Figuren zu tun haben, die entweder unter einer Psychose leiden oder ein (schweres) Trauma erlitten haben und derzeit unter posttraumatischem Stress zu leiden haben. Inwiefern diese Selbstreflexion in den einzelnen Spielen umgesetzt wird, wollen wir kurz im Folgenden ansprechen.



    Silent Hill Origins

    Selbstreflexion in Form einer sexuellen Störung (um es mit Kaufmanns Worten aus Shattered Memories zu sagen: „You’re definately NOT getting enough!“). Diese Reflexion findet sich in den Towbacks wieder. Selbstreflexion im Sinne von konkreten Umgebungen könnten durch die Spiegel in Betracht gezogen werden. Durch die Spiegel haben wir bedeutungstragende Komponenten, die der Parallelwelt eine bestimmte Beziehung zur Hauptfigur Travis verleihen. Diese Beziehung ist wahrscheinlich so zu deuten, dass der Spiegel Travis’ wahre Identität offenlegt oder zumindest die Identität vor der sich seine Mutter gefürchtet hat. Ob diese schreckliche Persönlichkeit nun wirklich existiert hat sei mal dahingestellt – wichtig ist nicht ob sie existiert hat, sondern welches Trauma Travis von der Beschuldigung seiner Mutter davongetragen hat, die die Existenz dieser dunklen Seite stets behauptet hat. Die Spiegel sind ein Symbol für die Furcht, was im Inneren lauern könnte, die Parallelwelt ist buchstäblich dieses Innere, vor dem Travis sich fürchtet.



    Silent Hill 1

    Sieht man von den bereits vieldiskutierten Monstern ab, die entweder Alessas Ängste oder Fantasien darstellen, findet sich in Silent Hill 1 mit dem Heizraum der Schule eine klare Verbindung zu Alessas Verbrennungsritual. Dieser Raum steht also im übertragenden Sinne dafür, dass Alessa verbrannt wurde. Aus der Perspektive der Selbstreflexion könnte die Dunkelheit im Spiel, die ja schon oft als Übergang zwischen den Welten interpretiert wurde, als Dunkelheit in Alessas Seele gesehen werden (nicht im Sinne von Boshaftigkeit, sondern eher eine Leere, die sich mit ihrem Krankenhausaufenthalt im Keller in Verbindung bringen lässt). Die Gitter der Otherworld könnten für das „Gefängnis“ stehen, on dem sie sich befand. Der Incubus ist letztlich auch nur das, was sie sich unter dem Kultgott vorstellt.



    Silent Hill 2

    Während wir in Origins und SH1 eher bedeutungstragende Räume hatten, die mit anderen Räumen oder Handlungen in Verbindung standen, haben wir in Silent Hill 2 (zum ersten Mal?) eine sehr starke Verbindung zur Gefühlswelt der Hauptfigur James. Auf die Monster muss hier nicht weiter eingegangen werden. Vielmehr möchte ich auf die Historical Society eingehen, in der beispielsweise der Sturz in einen Brunnen Ausweglosigkeit symbolisiert. Der Drehraum, in dem man die Türen richtig Anordnen muss, steht für Verwirrung und James’ Suche nach dem richtigen Weg. Dass Maria hinter Gitterstäben in einer Zelle sitzt, spiegelt Marys Einsamkeit und ihr Isolationsgefühl wider, während sie unter ihrer Krankheit zu leiden hatte. Die labyrithischen Gänge stehen für James’ verzerrte Erinnerungen, in denen sich ironischer Weise auch Pyramid Head bewegt, Marias Mörder.
    Um nur noch einige weitere Räume der Selbstreflexion zu nennen: Die ganze Stadt Silent Hill, die in dichtem Nebel liegt, ist ein einziges, großes, von Nebel verschleiertes Labyrinth, das James’ Realitätsverdrängung darstellt. So ist der Nebel ein Verschleierungsmittel, so wie in Shattered Memories das Eis. Leichen, dreckige Toiletten und Blut an den Wänden sind abartige, Ekel erregende Dinge, die James’ wahre Natur repräsentieren, nämlich die eines Mörders. Der Toluca Lake ist nicht nur eine Idylle, sondern auch ein großes Grab (sowohl in der Vergangenheit als auch schließlich James’ eigenes im „Im Wasser“ Ending), das wieder James’ verdrängte Persönlichkeit widerspiegelt.



    Silent Hill 3

    Ein wichtiger semantischer Raum in Silent Hill 3 ist der Vergnügungspark, der voll von Orten ist, die Heathers Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit repräsentieren. So rennt sie in Borley’s Haunted Mansion vor ihrer Vergangenheit davon, um nicht von ihr eingeholt und überwältigt zu werden. Ebenso wie auf den Gleisen der Achterbahn, von der sie überrollt wird, wenn sie nicht abspringt. Das Karussell steht für Heathers Verwirrung und Ratlosigkeit, wie sie mit ihrer Vergangenheit verfahren soll. Es stoppt, wenn sie ihre Antwort gefunden hat. Es gibt sicherlich noch viele Orte, so wie das Krankenhaus und die Otherworld, die direkte Beziehungen zu Alessas Vergangenheit und Heathers Identitätskrise herstellen durch bedeutungstragende Gegenstände wie Rollstühle, Gemälde von St. Alessa oder Spiegel, die daher auch eine selbstreflexive Wirkung innehalten.



    Silent Hill 4

    Zimmer 302 ist zunächst ein Raum in einer anderen Dimension, der sich für Henry mehr und mehr verschließt und ihn von der Außenwelt abkoppelt. Andererseits spiegelt die Abgeschlossenheit des Zimmers die Introvertiertheit der Hauptfigur selbst wieder, die aus der langweiligen, nicht sehr redsamen Stimme und diversen Kommentaren seiner Mitbewohner hervorgeht. Allerdings müssen wir die Parallelwelten selber aus Walter Sullivans Perspektive betrachten, da Henry an sich nur ein Zuschauer ist, der Orte erkundet, an denen Walter Sullivan einschneidende Momente erlebt hat. Dass die Parallelwelten so verzerrt aussehen hat also den Grund, dass der kleine Walter Angst vor der Außenwelt hatte. Das Grauenhafte ist ein Spiegelbild seiner eigenen Ängste. Der interessanteste Ort ist sicherlich der des letzten Showdowns, der für die Gebärmutter steht – den Ort, an dem sich Walter in dieser Welt am geborgensten fühlte und zu dem er (möglicherweise) auch zurückkehren will. Die Gebärmutter als abstrakten Ort darzustellen impliziert sicherlich ein Gefühl der Geborgenheit und des Friedens, aber auch wieder Isolation, Einsamkeit und Stille. All diese Gefühle werden in die Räume von Silent Hill 4 projiziert.



    Homecoming

    Für Homecoming fällt mir spontan die Parallelwelt in Alex’ Haus ein, in dem Dinge zu sehen sind wie Leichen, die seine Mutter darstellen sollen und denen man Masken aufsetzen muss, was in gewisser Weise sein Unbehagen gegenüber Lilian darstellt, weil er weiß, dass sie sich ihm gegenüber verschließt. Er weiß nicht, wer sie wirklich ist. Dieses unbehagliche Gefühl stellt sich für ihn als entstellter Körper ohne klar zu definierendes Gesicht dar. Andere Orte, wie die Gaskammer oder der Botanische Garten stehen natürlich im übertragenden Sinne für Tötungsarten, denen die Kinder zum Opfer gefallen sind, haben aber an sich nichts mit der Beklemmung Alex’ zu tun, die er an solchen Orten verspürt (höchstens dadurch, dass er selbst ein Kind getötet hat). So stellt der Nebel natürlich wieder seine eigene geistige Umnebelung dar, weil er verdrängt, was tatsächlich geschehen ist.



    Shattered Memories

    Das bereits angesproche Eis und die Monster sind Agenten der Verdrängung, die demnach Cheryls psychische Abwehrmechanismen darstellen, das Unangenehme zu unterdrücken. Interessant ist hier auch, dass sich die frühere Familiensituation in der Umgebung widerspiegelt, z.B. in diversen Geschichten im Krankenhaus, im Einkaufszentrum oder im Wald, in denen es meist um (verwahrloste) Kinder geht, deren Eltern nicht miteinander auskommen oder die mit ihren Müttern nicht klarkommen. So stehen alle fiktiven Geschichten und Begebenheiten in Harrys Umfeld in Verbindung mit Cheryls verdrängter Vergangenheit. Auch die Mementos sind Gegenstände, die sich aus Erinnerungen manifestieren. Zusammengefasst: Die Räume von Shattered Memories sind Mechanismen aus Cheryls Gehirn, die entweder für ihr Verlangen nach Verdrängung oder Neugenerierung ihrer Leidesgeschichte stehen.

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