Ich hatte schon länger vor, diese Geschichte zu schreiben. Heute fühlte ich, dass es so weit ist
Es ist etwas Besinnliches... zum Nachdenken. Auch wenn es anfangs vielleicht nicht so scheint. Naja, lest es euch durch und sagt selbst mal was dazu. Ist nicht allzu lang, nur etwa 3-einhalb Seiten in Word.
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An einem kühlen Nachmittag im Spätherbst sitze ich auf einer Bank, während sie, einige Meter von mir entfernt, auf der Schaukel sitzt und so hoch schwingt, als versuche sie den Himmel zu berühren. Ich beobachte sie vergnügt, stelle aber betrübt fest, dass der Winter näher rückt. Es wird immer kälter.
Sie schaukelt und schaukelt und lacht und sieht zu mir herüber, während ihr fröhliches Gesicht ein Trost an diesem windigen Tag für mich ist. Schließlich kann ich mich auch zu einem dankbaren Lächeln durchringen.
Ich bin tatsächlich dankbar, dass sie hier bei mir ist. Wir sind zusammen durch die schwierigsten Zeiten gegangen und ich sehe es als das größte Glück auf Erden an, dass sie immer noch hier bei mir ist.
Meine Eltern starben noch bevor ich eingeschult wurde, zusammen mit meiner jüngeren Schwester, bei einem Autounfall. Meine Schwester war zwei Jahre jünger als ich und als ihr großer Bruder war ich immer damit beschäftigt, sie zu beschützen. Ich hegte und pflegte sie, hielt ihr gemeine Kinder vom Hals, kaufte ihr Süßigkeiten und passte abends auf sie auf, wenn unsere Eltern ausgingen. In der Beschützerrolle schien ich mich selbst zu verwirklichen, doch mit dem Autounfall wurde mir das alles genommen. Ich wurde fortan von meiner Großmutter erzogen. Sie hielt mich am Leben so gut sie konnte. Zu mehr war sie nicht mehr fähig. Als Mutter war sie schon bei meinem Vater überfordert gewesen, weshalb ich wohl nicht viel mehr war als ihr neuestes Hindernis. Selbst wenn ich ihr leid tat und sie mir helfen wollte, so war sie mit mir vollkommen überfordert. Sie konnte mir nur jeden Tag etwas zum Essen kochen und stillschweigend mit ansehen, wie ich mich immer weiter selbst verlor.
Ein Jahr später lernte ich sie kennen. Sie hat mich gerettet. Nachdem ich sie getroffen hatte, war ich langsam wieder in der Lage aufzutauen. In der Grundschule gingen wir in dieselbe Klasse. Richtig kennen lernen tat ich sie allerdings erst an einem regnerischen Tag auf dem Spielplatz. Das Wetter hatte mich auf dem Heimweg überrascht. Meine Idee war es, mich unter einen großen Pilz zu stellen – eine Attraktion des Spielplatzes. Sie überraschte mich damit, dass sie schon vor mir dort Zuflucht gesucht hatte. So standen wir zusammen einige Zeit wortlos unter dem großen Pilz und warteten, bis das Regenwetter vorüberging. Aber es regnete noch eine ganze Stunde. Seitdem trafen wir uns öfters auf dem Spielplatz und stellten uns unter den großen Pilz – auch wenn es gar nicht regnete. Nur um uns zu unterhalten.
Unsere tiefe Freundschaft veränderte mich von Grund auf. Ich unterhielt mich des Öfteren mit meiner Großmutter und sogar meine Noten in der Schule verbesserten sich. Allein die Tatsache, dass ich nach der Schule wieder mit ihr zusammen spielen konnte, löste in mir eine nahezu überschwingliche Motivation aus. Von den anderen Kindern wurde ich ab und an geärgert, weil ich nicht zu ihrem Kreise gehören wollte. Immerhin hatte ich alles, was ich brauchte. Ich nehme an, dass es in diesem Alter ungewöhnlich aussah, wenn ein Junge nur mit einem Mädchen verkehrte. Das alles interessierte mich überhaupt nicht. Letztlich gingen wir auf dieselbe weiterführende Schule und kamen sogar wieder in dieselbe Klasse. In der Mittelstufe verloren wir uns ein wenig im Trott der pubertierenden Jugend. Schule war nicht mehr so interessant wie Schwimmbadbesuche, Kino, die ersten Kontakte mit Alkohol und sonstige Jugendsünden. Mich wundert nur, dass ich zu dieser Zeit kaum einen Gedanken an Sexualität verschwendet habe. Möglicherweise war ich schon zu sehr an den Zustand gewöhnt, mit einem Mädchen zusammen zu sein, als dass ich mich vor ihr scheuen musste.
Als wir Ende der Mittelstufe in unterschiedliche Klassen kamen, schien eine Welt für uns unterzugehen. Sicher, wir sahen uns immer noch so oft wie früher, aber es gab keinen Moment, an dem ich im Unterricht nicht an sie dachte. Wie ich später herausfinden sollte, war es ihr genauso ergangen. Vielleicht wurde mir zu diesem Zeitpunkt erst wirklich bewusst, welche Zuneigung ich für sie empfunden hatte. Während ich mich langsam wieder auf die Schule konzentrierte, kam sie nicht richtig aus ihrer Jugend heraus. Sie ließ die Schule schleifen und redete nicht viel. Sie schaffte es gerade so in die Oberstufe, in der sie im Schwerpunkt die gleichen Kurse wie ich wählte – nur damit wir wieder zusammen waren. Wir konnten die Welt nicht verstehen. Wir waren jung und kannten die Richtung nicht, die in die Zukunft führt. Einen Teil dieser Wahrheit, die die Mysterien des Lebens umgibt, wollten wir zusammen ergründen. Ich war 17 und am Zenit meiner Jugend angelangt. Du warst ein Jahr jünger und hat mir blind vertraut. Vielleicht zu blind. Aber in dieser Nacht war ich glücklich darüber, dass du dich mir anvertraut hattest und keinem anderen. Wir lagen die ganze Nacht nebeneinander. Am nächsten Morgen schneite es.
Mein Abschluss befähigte mich zu einem Studium, das ich aufgrund von mangelnder Zukunftsorientierung noch im selben Jahr begann. Ich wurde zwar im Kreiswehrersatzamt zur Musterung bestellt, dann aber aufgrund meines gebrechlichen Körperbaus für unfähig erklärt (ich litt zu dieser Zeit tatsächlich schon fast an Magersucht).
Sie folgte mir an die Universität und wählte erneut dieselben Schwerpunkte wie ich. Zwar konnte ich ihre fahrlässige Entscheidung kaum gutheißen, aber ich war insgeheim froh, dass sie sie getroffen hatte. Unter meinen Kommilitonen hatte ich kaum Kontakte. Ich war und blieb ein Einzelgänger, wenn man davon absah, dass sie an meiner Seite war. Sie bemühte sich ebenso wenig um andere Kontakte, weshalb ich es für unangebracht hielt, selbst welche zu finden. Wir gingen zusammen in Bars und schossen uns mit Tequila alle Lichter aus. Danach hatten wir meistens Sex und unterhielten uns bis tief in die Nacht hinein über die Zukunft. Unsere Studentenzeit war verludert und im Großen und Ganzen sinnlos. Gleichzeitig war sie die großartigste Zeit meines Lebens. Niemals hatte ich mich so stark in die Obhut eines anderen Menschen begeben. Ich hatte mein Leben voll und ganz in ihre Hände gelegt. Selbst jetzt spüre ich diese Zeit so präsent, als umgebe sie mich immer noch und fülle meine müden Knochen mit neuem Leben. Ich bin nicht alt, nur müde und schwach. Du bist das Einzige, was mir geblieben ist.
Im Winter vor unserem letzten Semester beflügelte uns der Gedanke, die Zukunft gemeinsam zu verbringen. Ich wollte immer bei ihr sein. Ich wollte sie immer beschützen und der einzige Mensch sein, dem sie vertrauen konnte. Ich wollte ihr das geben, was ich niemals hatte.
Es schneite so heftig, dass der Schnee auf den Straßen knöchelhoch war. Da die Stadt schon in den vorigen Jahren den Winterdienst vollkommen verschlafen hatte, machten wir uns auch diesmal keine Hoffnungen und mussten uns – wie erwartet – im hohen Schnee zum Bahnhof durchschlagen. Wir neckten uns, unbekümmert des grausamen Wetters. Ich rannte ein paar Schritte voraus, um sie zu ärgern. Sie versuchte mitzuhalten, rutschte aber in der Glätte des festgetretenen Schnees aus. Ich lachte ihr herzhaft entgegen, als sie ihr Gesicht aus dem Schnee hob und verzweifelt in meine Richtung sah. Dann rutschte das Fahrzeug, das zu schnell in die Kurve gegangen war, unkontrolliert auf den Gehsteig. Dort wo sie im Schnee gelegen hatte, beobachtete ich unter Schock das Auto – sie irgendwo darunter begraben und nicht mehr sichtbar. Sie starb sofort.
Dieses Mädchen auf der Schaukel, das ist nicht sie. Auch wenn das Mädchen nur für mich lacht, so wie sie es immer getan hat. Manche Leute sagen mir, dass sie von Anfang an gar nicht existiert habe. Doch ich weiß: Das ist gelogen. Sie war nur für mich da und ich nur für sie. So wie auch heute noch.
Während sich der Tag dem Ende neigt, schaukelt sie immer höher. Die blutroten Farben der untergehenden Sonne vermischen sich mit dem Gold des Himmels. Sie schaukelt und schaukelt und lacht und sieht zu mir herüber, während ihr fröhliches Gesicht ein Trost an diesem windigen Tag für mich ist. Schließlich kann ich mich auch zu einem dankbaren Lächeln durchringen. Ich sitze hier und verliere mich in Sequenzen unseres Daseins.
© Julian Jungermann, 13. Mai 2012
Es ist etwas Besinnliches... zum Nachdenken. Auch wenn es anfangs vielleicht nicht so scheint. Naja, lest es euch durch und sagt selbst mal was dazu. Ist nicht allzu lang, nur etwa 3-einhalb Seiten in Word.
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Das Mädchen auf der Schaukel
An einem kühlen Nachmittag im Spätherbst sitze ich auf einer Bank, während sie, einige Meter von mir entfernt, auf der Schaukel sitzt und so hoch schwingt, als versuche sie den Himmel zu berühren. Ich beobachte sie vergnügt, stelle aber betrübt fest, dass der Winter näher rückt. Es wird immer kälter.
Sie schaukelt und schaukelt und lacht und sieht zu mir herüber, während ihr fröhliches Gesicht ein Trost an diesem windigen Tag für mich ist. Schließlich kann ich mich auch zu einem dankbaren Lächeln durchringen.
Ich bin tatsächlich dankbar, dass sie hier bei mir ist. Wir sind zusammen durch die schwierigsten Zeiten gegangen und ich sehe es als das größte Glück auf Erden an, dass sie immer noch hier bei mir ist.
Ich sitze im Zug. Die Wellen schlagen gegen die Brandung und ich frage mich, wohin sie mich führen können, wenn ich ins Wasser springe. Der Zug hält. Ich gehe an Land.
Meine Eltern starben noch bevor ich eingeschult wurde, zusammen mit meiner jüngeren Schwester, bei einem Autounfall. Meine Schwester war zwei Jahre jünger als ich und als ihr großer Bruder war ich immer damit beschäftigt, sie zu beschützen. Ich hegte und pflegte sie, hielt ihr gemeine Kinder vom Hals, kaufte ihr Süßigkeiten und passte abends auf sie auf, wenn unsere Eltern ausgingen. In der Beschützerrolle schien ich mich selbst zu verwirklichen, doch mit dem Autounfall wurde mir das alles genommen. Ich wurde fortan von meiner Großmutter erzogen. Sie hielt mich am Leben so gut sie konnte. Zu mehr war sie nicht mehr fähig. Als Mutter war sie schon bei meinem Vater überfordert gewesen, weshalb ich wohl nicht viel mehr war als ihr neuestes Hindernis. Selbst wenn ich ihr leid tat und sie mir helfen wollte, so war sie mit mir vollkommen überfordert. Sie konnte mir nur jeden Tag etwas zum Essen kochen und stillschweigend mit ansehen, wie ich mich immer weiter selbst verlor.
Ein Jahr später lernte ich sie kennen. Sie hat mich gerettet. Nachdem ich sie getroffen hatte, war ich langsam wieder in der Lage aufzutauen. In der Grundschule gingen wir in dieselbe Klasse. Richtig kennen lernen tat ich sie allerdings erst an einem regnerischen Tag auf dem Spielplatz. Das Wetter hatte mich auf dem Heimweg überrascht. Meine Idee war es, mich unter einen großen Pilz zu stellen – eine Attraktion des Spielplatzes. Sie überraschte mich damit, dass sie schon vor mir dort Zuflucht gesucht hatte. So standen wir zusammen einige Zeit wortlos unter dem großen Pilz und warteten, bis das Regenwetter vorüberging. Aber es regnete noch eine ganze Stunde. Seitdem trafen wir uns öfters auf dem Spielplatz und stellten uns unter den großen Pilz – auch wenn es gar nicht regnete. Nur um uns zu unterhalten.
Unsere tiefe Freundschaft veränderte mich von Grund auf. Ich unterhielt mich des Öfteren mit meiner Großmutter und sogar meine Noten in der Schule verbesserten sich. Allein die Tatsache, dass ich nach der Schule wieder mit ihr zusammen spielen konnte, löste in mir eine nahezu überschwingliche Motivation aus. Von den anderen Kindern wurde ich ab und an geärgert, weil ich nicht zu ihrem Kreise gehören wollte. Immerhin hatte ich alles, was ich brauchte. Ich nehme an, dass es in diesem Alter ungewöhnlich aussah, wenn ein Junge nur mit einem Mädchen verkehrte. Das alles interessierte mich überhaupt nicht. Letztlich gingen wir auf dieselbe weiterführende Schule und kamen sogar wieder in dieselbe Klasse. In der Mittelstufe verloren wir uns ein wenig im Trott der pubertierenden Jugend. Schule war nicht mehr so interessant wie Schwimmbadbesuche, Kino, die ersten Kontakte mit Alkohol und sonstige Jugendsünden. Mich wundert nur, dass ich zu dieser Zeit kaum einen Gedanken an Sexualität verschwendet habe. Möglicherweise war ich schon zu sehr an den Zustand gewöhnt, mit einem Mädchen zusammen zu sein, als dass ich mich vor ihr scheuen musste.
Ein Kind steht allein im Wald. Ich schaue daran vorbei, weil ich dich in den Tannen sehe. Du winkst mir zu, dir zu folgen. Was bist du für mich? Was bin ich für dich?
Als wir Ende der Mittelstufe in unterschiedliche Klassen kamen, schien eine Welt für uns unterzugehen. Sicher, wir sahen uns immer noch so oft wie früher, aber es gab keinen Moment, an dem ich im Unterricht nicht an sie dachte. Wie ich später herausfinden sollte, war es ihr genauso ergangen. Vielleicht wurde mir zu diesem Zeitpunkt erst wirklich bewusst, welche Zuneigung ich für sie empfunden hatte. Während ich mich langsam wieder auf die Schule konzentrierte, kam sie nicht richtig aus ihrer Jugend heraus. Sie ließ die Schule schleifen und redete nicht viel. Sie schaffte es gerade so in die Oberstufe, in der sie im Schwerpunkt die gleichen Kurse wie ich wählte – nur damit wir wieder zusammen waren. Wir konnten die Welt nicht verstehen. Wir waren jung und kannten die Richtung nicht, die in die Zukunft führt. Einen Teil dieser Wahrheit, die die Mysterien des Lebens umgibt, wollten wir zusammen ergründen. Ich war 17 und am Zenit meiner Jugend angelangt. Du warst ein Jahr jünger und hat mir blind vertraut. Vielleicht zu blind. Aber in dieser Nacht war ich glücklich darüber, dass du dich mir anvertraut hattest und keinem anderen. Wir lagen die ganze Nacht nebeneinander. Am nächsten Morgen schneite es.
Mein Abschluss befähigte mich zu einem Studium, das ich aufgrund von mangelnder Zukunftsorientierung noch im selben Jahr begann. Ich wurde zwar im Kreiswehrersatzamt zur Musterung bestellt, dann aber aufgrund meines gebrechlichen Körperbaus für unfähig erklärt (ich litt zu dieser Zeit tatsächlich schon fast an Magersucht).
Sie folgte mir an die Universität und wählte erneut dieselben Schwerpunkte wie ich. Zwar konnte ich ihre fahrlässige Entscheidung kaum gutheißen, aber ich war insgeheim froh, dass sie sie getroffen hatte. Unter meinen Kommilitonen hatte ich kaum Kontakte. Ich war und blieb ein Einzelgänger, wenn man davon absah, dass sie an meiner Seite war. Sie bemühte sich ebenso wenig um andere Kontakte, weshalb ich es für unangebracht hielt, selbst welche zu finden. Wir gingen zusammen in Bars und schossen uns mit Tequila alle Lichter aus. Danach hatten wir meistens Sex und unterhielten uns bis tief in die Nacht hinein über die Zukunft. Unsere Studentenzeit war verludert und im Großen und Ganzen sinnlos. Gleichzeitig war sie die großartigste Zeit meines Lebens. Niemals hatte ich mich so stark in die Obhut eines anderen Menschen begeben. Ich hatte mein Leben voll und ganz in ihre Hände gelegt. Selbst jetzt spüre ich diese Zeit so präsent, als umgebe sie mich immer noch und fülle meine müden Knochen mit neuem Leben. Ich bin nicht alt, nur müde und schwach. Du bist das Einzige, was mir geblieben ist.
Das Bild verschwindet langsam im Schnee.
Wir weinen.
Wir laufen durch ein schneebesetztes Feld.
Wir weinen.
Wir laufen durch ein schneebesetztes Feld.
Im Winter vor unserem letzten Semester beflügelte uns der Gedanke, die Zukunft gemeinsam zu verbringen. Ich wollte immer bei ihr sein. Ich wollte sie immer beschützen und der einzige Mensch sein, dem sie vertrauen konnte. Ich wollte ihr das geben, was ich niemals hatte.
Es schneite so heftig, dass der Schnee auf den Straßen knöchelhoch war. Da die Stadt schon in den vorigen Jahren den Winterdienst vollkommen verschlafen hatte, machten wir uns auch diesmal keine Hoffnungen und mussten uns – wie erwartet – im hohen Schnee zum Bahnhof durchschlagen. Wir neckten uns, unbekümmert des grausamen Wetters. Ich rannte ein paar Schritte voraus, um sie zu ärgern. Sie versuchte mitzuhalten, rutschte aber in der Glätte des festgetretenen Schnees aus. Ich lachte ihr herzhaft entgegen, als sie ihr Gesicht aus dem Schnee hob und verzweifelt in meine Richtung sah. Dann rutschte das Fahrzeug, das zu schnell in die Kurve gegangen war, unkontrolliert auf den Gehsteig. Dort wo sie im Schnee gelegen hatte, beobachtete ich unter Schock das Auto – sie irgendwo darunter begraben und nicht mehr sichtbar. Sie starb sofort.
Dieses Mädchen auf der Schaukel, das ist nicht sie. Auch wenn das Mädchen nur für mich lacht, so wie sie es immer getan hat. Manche Leute sagen mir, dass sie von Anfang an gar nicht existiert habe. Doch ich weiß: Das ist gelogen. Sie war nur für mich da und ich nur für sie. So wie auch heute noch.
Während sich der Tag dem Ende neigt, schaukelt sie immer höher. Die blutroten Farben der untergehenden Sonne vermischen sich mit dem Gold des Himmels. Sie schaukelt und schaukelt und lacht und sieht zu mir herüber, während ihr fröhliches Gesicht ein Trost an diesem windigen Tag für mich ist. Schließlich kann ich mich auch zu einem dankbaren Lächeln durchringen. Ich sitze hier und verliere mich in Sequenzen unseres Daseins.
Das Mädchen auf der Schaukel lächelt. Ich lächele zu ihr zurück.
© Julian Jungermann, 13. Mai 2012