Videospiele in der Wissenschaft

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      Videospiele in der Wissenschaft

      Hallo an alle Gamerfreunde und -freundinnen! ;)

      heute morgen kam mir die Idee zu diesem Thread, als ich mir über meine nächste Hausarbeit Gedanken gemacht habe. Einige von euch wissen vielleicht, dass ich meine Bachelor-Arbeit in der Anglistik im Bereich Media Studies geschrieben habe, genauer gesagt: Game Studies. Forschungsgegenstand war Silent Hill 2. Ich arbeite inzwischen darauf hin, auch ein Thema aus den Game Studies in der Master Thesis zu bearbeiten. Seitdem versuche ich Hausarbeiten in allen Themenfeldern zu schreiben, in denen ich Parallelen sehe.
      In diesem Thread möchte ich nicht nur meine eigenen Arbeiten vorstellen und sie euch allen herzlich zum Lesen anbieten, sondern auch auf andere Essays und Arbeiten aufmerksam machen, über die ich z.B. in meiner BA-Vorbereitung gestoßen bin. Da sind teilweise sehr interessante Texte drin und wenn euch interessiert, wie Videospiele in der Wissenschaft behandelt werden, könnt ihr inzwischen schon sehr viel dazu lesen und lernen.

      Ich fange mal mit meinen eigenen Arbeiten an:

      "There was a hole here. It's gone now." Semantisierung von Videospielräumen am Beispiel von Silent Hill 2.
      Meine BA-Thesis beschäftigt sich mit Videospiel-Räumen (im Sinne von Space/Landschaft/Spiel-Räumen) und der Frage, ob sie schlichte Schauplätze sind, in denen sich Narrative abspielen, oder sogar selbst Elemente darstellen, die Handlung vermitteln. Die These ist also, dass es Symbolräume in Videospielen gibt, die über eine einfache "Schauplatzfunktion" hinausgehen. Dazu erstelle ich ein Modell, um Räume in Videospielen zu analysieren und wende es an Silent Hill 2 an.

      Kunst oder Klau? Die Aktualisierung kulturellen Wissens am Beispiel intermedialer Umsetzungen von Lewis Carrolls Alice’s Adventures in Wonderland.
      Aktualisierung kulturellen Wissens meint, dass bestimmte kulturelle Informationen (wie Narrative, Musik, Kunst, Architektur usw.) erneuert bzw. wiederholt werden. Beispiele sind das Remake eines Films, das Cover eines Songs usw. In meiner Hausarbeit geht es jetzt darum, dass diese Aktualisierung auch intermedial, d.h. zwischen verschiedenen Medien, stattfinden kann - mein Forschungsgegenstand: Lewis Carrols Alice in Wonderland wird intermedial auf die Videospielkonsole umgesetzt. Dazu untersuche ich zwei Games: American McGee's Alice und Silent Hill 1.

      In Arbeit ist außerdem eine Hausarbeit zum Thema Science-Fiction, genauer: Wie präsentiert sich postmoderne Science-Fiction nach der Cyberpunk-Epoche? Dazu wird der Fokus auf Science-Fiction in Videospielen liegen. Forschungsgegenstand wird hauptsächlich Bioshock Infinite sein. Die Arbeit ist wahrscheinlich so in 1-2 Monaten fertig.


      Habt ihr euch auch schon einmal mit wissenschaftlichen Aufsätzen zum Thema Videospiele auseinandergesetzt?
      Auf was seid ihr gestoßen?

      Ich werde hier demnächst nochmal ein paar Links zu frei zugänglichen Ausfsäten und Essays posten, die ich schon kenne.
      Falls ihr auch was von mir lesen wollt, sagt Bescheid :)


      LG
      JayJay
      Ich komme, wie wohl bekannt ist, aus einer ganz anderen Fachrichtung: Der Psychologie. Bei uns gibt es in der Regel keine Aufsätze oder Hausarbeiten zu solchen Themen, weil sich die Psychologie in erster Linie als Naturwissenschaft sieht (sehen möchte?). Das bedeutet, bei uns müssen zur Erkenntnisgewinnung standardisierte Experimente durchgeführt werden (zumindest ist das der Königsweg).

      An unserer Fakultät wurden in der Vergangenheit schon welche durchgeführt, aktuell eines. Häufig zielen diese Experimente oder Studien darauf ab, die Emotionsregulation der Probanden zu studieren - also im Prinzip, wie die Spiele auf uns wirken, wie wir uns dabei fühlen, welche Unterschiede ggf. bei unterschiedlichen Arten von Spielen existieren und ob es z.B. zu Desensitivierungseffekten kommt. Gerade seit in den Medien gerne mal Computerspiele als Ursache für Amokläufe angegeben werden, ist das Interesse in dieser Hinsicht sehr groß.

      In dem aktuellen Experiment geht es darum, welche Motivation für die Personen bestehen, ein Computerspiel zu spielen. Das kann von Zeitvertreib, Entspannung und Mood-Management bis hin zu Realitätsflucht gehen. Die Hypothese dieser hier ist, dass virtuelle Gewaltausübung und Aggression auch eine mögliches Motiv sein könnte. Dies wird oft - vor allem auch in der bisherigen Literatur - als unüblich abgewiesen, allerdings herrscht da begründete Skepsis. Da man durch Selbstauskünfte nur indirekte Maße erhält, die unter anderem durch Geschlecht, Erfahrung und einiges mehr konfundiert sind, geht man inzwischen vermehrt über physiologische Messungen an die Sache ran. Dazu gehören dann Herzrate (EKG), Hautleitfähigkeit (EDA), m.orbicularis oculi oder m.zygomaticus (EMG) oder die Analyse bestimmter Gehirnareale im EEG.

      Meine Tätigkeit geht aber mehr in die Stressverarbeitung und allgemeine Messung physiologischer Signale, weshalb ich auch kein Profi in den oben beschriebenen Bereichen bin. Aber man bekommt ja so manches mit :)

      Edit: Achja, Ergebnisse: Spiele können auch über die Spieldauer hinaus zu Aggressivität und Desensibilisierung im Hinblick auf Mitleid/- gefühl und Empathie führen.
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      porcupine tree

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von „Nobody“ ()

      Interessanter Einblick aus der Psychologie!
      Ja, dass Videospiele nach und nach 'aufwühlen' je länger man sie spielt, kann ich bestätigen. Öfters ist es so, dass ich nach längerer Zeit richtig aufgedreht bin und die anderen merken das sofort. Dann bin ich auch leichter auf die Palme zu bringen ^^

      Hier übrigens ein guter Aufsatz von Ewan Kirkland über das Genre Survival Horror:
      Irish Journal Of Gothic and Horror Studies: Survival Horrality
      Es kommt tatsächlich darauf an, wie dich das Spielen abholt. Ich habe einige in meinem Freundeskreis, die Schwierigkeiten damit haben, wenn sie einmal nicht spielen können. Dann werden sie unruhig und leicht gereizt. Manchmal kann man sie gar nicht zu etwas anderes motivieren. Und holt man sie aus dem Haus, sind sie auch nicht besser drauf. Aber ich glaube, das kann man noch so sehr analysieren, die meisten Spieler würden bestreiten, dass die Spiele etwas mit ihnen machen ... Dafür stehen sie zu sehr mittendrin.
      "Chirp Chirp!"
      Klar, als Zocker ist es natürlich ein Problem, die Objektivität zu bewahren.
      Allerdings denke ich, dass ein Zocker, der objektiv bleiben kann, nochmal wichtige Einsichten in die Materie bringen kann, wie jemand, der überhaupt nicht involviert ist. Wobei auch solche Wissenschaftler relevante Foschungsbeiträge leisten.
      Es gibt auf beiden Seiten Probleme, die man in den Griff bekommen muss: Gamer tendieren dazu, von der Genialität der Videospiele zu schwallen, während nicht Involvierte dazu neigen, Vorurteilen zu verfallen.

      Trotzdem sind beide Einblicke wichtig.
      Das hört sich ja schon fast nach Entzugserscheinungen an 8|

      Ich denke mir immer: Alles steht in Wechselwirkung. Alles was wir tun, hören, riechen, sehen und fühlen (spielen) verändert uns auf die eine oder andere Art, schließlich sind wir Produkte unserer Vergangenheit. Das Ergebnis ist eben nicht wie in der Physik determinierbar: Wenn X, dann Y, falls nicht -> dann Z. Vielleicht noch nicht. :)
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      Nobody schrieb:

      Ich denke mir immer: Alles steht in Wechselwirkung. Alles was wir tun, hören, riechen, sehen und fühlen (spielen) verändert uns auf die eine oder andere Art, schließlich sind wir Produkte unserer Vergangenheit. Das Ergebnis ist eben nicht wie in der Physik determinierbar: Wenn X, dann Y, falls nicht -> dann Z. Vielleicht noch nicht. :)


      Doch, ich finde, dass du damit Recht hast. Jeder von uns reagiert irgendwie anders auf den Kontakt zur virtuellen Welt.


      Übrigens: Der Medienwissenschaftler Jan-Noel Thon hat schon viele Aufsätze im Bereich Game Studies geschrieben, manche kann man auf seiner HP kostenlos downloaden:

      Jan-Noël Thon: Publikationen


      Beispielsweise:

      "Communication and Interaction in Multiplayer First-Person-Shooter Games." (Sozialwissenschaftlich angehaucht)
      janthon.de/texte/Thon_CMC_2006.pdf

      "Immersion revisited. Varianten von Immersion im Computerspiel des 21. Jahrhunderts." (Interessant: Immersion bezeichnet das Eintauchen des Spielers in das Spiel, aber auch des Lesers in das Buch, des Zuschauers in den Film usw. also die Ausblendung der Außenwelt)
      janthon.de/texte/Thon_FFK_2006.pdf

      "Toward a Model of Perspective in Contemporary Computer Games." (allgemeiner Aufsatz darüber, wie man Videospiele in der Wissenschaft betrachten kann)
      icn.uni-hamburg.de/webfm_send/11

      "Schauplätze und Ereignisse. Über Erzähltechniken im Computerspiel des 21. Jahrhunderts."
      janthon.de/texte/Thon_GfM_2007.pdf

      "Simulation vs. Narration. Zur Darstellung fiktionaler Welten in neueren Computerspielen."
      janthon.de/texte/Thon_FFK_2007.pdf

      "Computer Games, Fictional Worlds, and Transmedia Storytelling. A Narratological Perspective." (über Erzählwelten und das Erzählen selbst in verschiedenenartigen Medien, hauptsächlich dem Computerspiel)
      hf.uio.no/ifikk/english/resear…logical%20Perspective.pdf

      "Perspective in Contemporary Computer Games." (Perspektive im Videospiel, ein sehr interessantes Thema. Beschäftigt sich mit Kamera usw.)
      janthon.de/texte/Thon_Metalepse_2009.pdf

      "Zur Struktur des Ego-Shooters." (über Spielmechanik, Narrative und Sozialität)
      janthon.de/texte/Thon_Shooter_2009.pdf


      Viel Spaß für alle, die interessiert sind :)

      LG
      JayJay
      Nicht direkt wissenschaftlich, aber eine interessante Stimme aus der Industrie für die Zielgruppe:

      Penny Arcade - Extra Credits

      Penny Arcade und ihre Sendung "Extra Credits" behandeln Videospiele als Kunstform. Sie sprechen Konsumer an, seriöse Spiele vermehrt ernst zu nehmen, oder zukünftige Game Designer, auf besondere Dinge zu achten, die die Qualität von Videospielen verbessern können. Ihr Ziel ist es, dass Computerspiele mit der Zeit als künstlerisches Medium akzeptiert werden, neben Film und Literatur.

      Themen sind z.B. Narrative, Symbolik, Themen, Sex und Gender Probleme, unnötige Klischees in kontemporären Spielen, Genres und Entwicklungen, die Spielercommunity, Innovation und und und und und und und...
      Jede Folge ist nur 6-8 Minuten lang, aber es gibt inzwischen sehr viele davon. Ich würde euch unbedingt empfehlen, mal reinzuschauen, zumal sie sehr lustig gestaltet sind und dazu noch höchst informativ!

      Die Leute kommen übrigens aus der Industrie, sind also keine größenwahnsinnige Spieler ^^


      Edit: Folgt ihr dem Link, landet ihr bei Season 7. Ich würde aber bei Season 1 anfangen, auch wenn die Themen eigentlich meistens für sich stehen.

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