Stay Away (Fragment/Arbeitstitel)

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      Stay Away (Fragment/Arbeitstitel)

      Hier eine Kurzgeschichte, die ich irgendwann in der Oberstufe mal angefangen und nie beendet habe. Auch der Titel ist nur provisorisch - mir ist noch kein besserer eingefallen. Wahrscheinlich ist die Handlung nicht sonderlich durchdacht, aber ich mag das Szenario, vor allem die Dialoge und diverse Szenen. Deshalb wollte ich sie mit euch teilen ;)

      Die einzelnen Abschnitte sind nicht lang, auch wenn das Stück insgesamt eine stolze Länge hat. Sie lässt sich also ganz gut lesen, man kann zwischendurch gut Pausen machen.

      Viel Spaß dabei :)
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      Stay Away


      Unberührte Stille lag auf dem kleinen Apartment, nachmittags um 16:04 Uhr. Sie durchdrang Wände und Möbel, selbst die Luft schien von ihr berührt und tauchte sie in Gelassenheit. Das kleine Glastischchen, umringt von einem Zweimann-Sofa und einem Fernsehsessel, reflektierte das Licht auf seiner glatten Oberfläche. Die Küche lag einsam da und dennoch unberührt und voller Energie. Die einen Spalt geöffnete Tür zum Nachbarzimmer wartete gespannt auf ihre Aktion, würde sie dadurch doch den Blick ins Schlafzimmer preisgeben, mit dem Doppelbett und dem Eingang zum Badezimmer, das noch nie zuvor betreten wurde.
      So lag das Zimmer auch noch um 16:05 Uhr in seiner himmlischen Ruhe, als ein leises Knacken, das vom Türschloss kam, die Stille brach. Als nächstes wurde die Tür aufgeschmissen und Bryan stürzte ins Zimmer hinein, gefolgt von Mag.
      „Du könntest mir ruhig mal was abnehmen!“, schimpfte sie und fiel mit zwei Koffern und einem Rucksack bewaffnet fast ins Zimmer hinein.
      „Und wer schließt dir dann die Tür auf? Außerdem hab ich auch Koffer zu schleppen!“, schimpfte Bryan zurück.
      „Einen…!“, murrte Mag und ließ sich auf das Sofa fallen, das unter ihrem Federgewicht das erste Mal nachgab.
      Bryan schaute sich etwas im Zimmer um und nickte dann mit einem schlichten „Nett“.
      „Nett… ist das das einzige, was du zu sagen hast?“
      „Was soll ich denn sonst sagen? Es ist keine Villa, es ist ein Apartment!“
      So sollte es noch für eine ungenaue Zeit weitergehen. Bryan und Mag waren seit dem Kindergarten ineinander verliebt. Sandkastenliebe, nannte er es oft. Ein Wink des Schicksals, pflegte sie es zu nennen. Seit der Grundschule gingen sie immer weiter auseinander, um sich dann in der Gymnasialzeit wieder näher zu kommen und inmtten des Abi-Balls zum ersten Mal Sex zu haben. Bryan ging studieren und sie wartete stets auf ihn, so wie das die allgemeine Hausfrau macht, nur ohne Haus. Als Bryan mit dem Studium fertig war und bei einer der größten Banken weltweit eingestellt wurde, also mit 27, hielt er es für angebracht, ihr einen Heiratsantrag zu machen.
      Moment, hier war ein Fehler in der Logik.
      Um genau zu sein, muss gesagt werden, dass seine Eltern es für richtig hielten, dass Bryan Mag einen Heiratsantrag machte. Bryan war vorerst nicht sehr angetan davon, weil er anderes im Kopf hatte. Karriere zum Beispiel. Das war auf jeden Fall wichtiger als eine Hochzeit.
      Verdammt, wer dachte mit 27 schon ans Heiraten?
      Wie auch immer, er machte ihr jedenfalls einen Heiratsantrag und sie sagte ihm ab. Warum sollte sie auch zusagen? Es kam alles so urplötzlich und sie sahen sich ja auch so selten und wenn schon, dann wohl etwas später und überhaupt.
      Nachdem ihre Eltern ihr von einer guten Partie erzählten und unter anderem noch, dass er der Richtige für sie sei, sie es nur noch nicht wahr haben wollte, sagte sie zu.
      Bryan hatte Geld. Noch nicht genug, aber immerhin ausreichend, um sich eine eigene Wohnung zu leisten, zusammen mit seiner Verlobten. Das Apartment war brandneu eingerichtet mit den teuersten Einrichtungsgegenständen. Nur Mag schien sich des Wertes der Möbel bewusst, wobei Bryan lediglich die Größe des Apartments im Blick hatte.
      „Irgendwie viel zu klein. Ich hatte mir das größer vorgestellt.“
      „Sobald du den Inhalt der Koffer verteilt hast, wird dir schon alles viel größer vorkommen.“
      „Komm, geh mir nicht schon wieder auf die Nerven!“, knurrte er gereizt.
      Vielleicht brauchten sie ja auch nur etwas Abstand. Vielleicht genügte das ja schon.
      Vielleicht.
      „Ich versuche doch nur…!“
      Mag beließ es dabei, hievte ihren Koffer ins Schlafzimmer, breitete den Inhalt auf dem Bett aus und begann die Schränke einzuräumen. Bryan warf sich derweil auf das Sofa für zwei Mann und atmete tief durch.
      „Selbst das Sofa ist zu klein…“
      „Ich will nichts mehr hören!“
      Die Luft brannte, man konnte es genau riechen. Der Rauch breitete sich im ganzen Zimmer aus und verdrängte die klare Luft, als sei das Zimmer schon mindestens drei Jahre in Benutzung.
      „Wo ist die Fernbedienung?“, fragte Bryan und machte keine Anstalten sich zu bewegen.
      „Mach die Augen auf, dann findest du sie.“
      Mag konnte nur ein genervtes Stöhnen aus dem Wohnzimmer vernehmen, doch sie ließ dich dadurch nicht aus der Fassung bringen. Der Kleiderschrank war riesig und bot genug Platz für alle Kleider, sogar noch mehr. Sie konnte Bryan nicht richtig verstehen. Er war wohl anderes gewohnt. Seine Eltern hatten schon immer etwas mehr Geld und auch er hatte klare Vorstellungen von seinem Leben. Sehr berufsorientiert, zielstrebig… das war ja alles okay, aber manchmal fehlte ihm doch der Sinn für die Gemütlichkeit kleinerer Dinge. Mag glaubte daran, dass nicht alles gigantisch sein musste, das Nonplusultra war ihr deutlich zu groß, doch Bryan schien es zu genießen.
      „Haben wir schon etwas zum Essen?“, rief Bryan Mag zu.
      „Schau in die Kühltasche, Schatz, da müssten Käse und Wurst drin sein.“
      „Ich dachte eher an Chips oder was zum Knabbern.“
      „Tut mir Leid, da musst du in den Markt gehen.“
      „Hm…“
      Mag versuchte die Stimmung aufzulockern, aber Bryan schien das nicht zu verstehen. Stattdessen streckte er sich noch mal ordentlich und murmelte verschlafen.
      „Kannst du nicht gehen?“
      Ein kurzer Moment der Ruhe, ein kleiner Augenblick, in dem Mag absolut nichts spürte, ehe die Bombe in ihr explodierte. Sie ließ die frisch zusammengelegten Hemden einfach fallen und riss die Schlafzimmertür mit einem Ruck auf.
      „Ich glaube du spinnst! Wie du sehen kannst bin ich damit beschäftigt, deine Klamotten einzuräumen, während du stinkfaul auf dem Sofa liegst! Was erlaubst du dir eigentlich?“
      „Hey Süße, reg dich doch nicht gleich so auf, ich hol ja schon Chips…“
      „Ich reg mich nicht auf! Und hör auf mich Süße zu nennen!“
      „Ja, ja, ist klar…“
      „Ich meins ernst! Jetzt beweg deinen Hintern und geh einkaufen! Wir brauchen auch Brot.“
      „Sonst noch was?“, knurrte Bryan.
      „Vorerst nicht, aber wenn mir was einfällt, ruf ich dich auf dem Handy an.“
      Wortlos verließ Bryan das Apartment. Mags Hände zitterten. Mit pochendem Herzen setzte sie sich aufs Bett und sah bedrückt auf den Boden. Ihre Hände wollten nicht zu zittern aufhören. Als sie ihren Kopf hob und ins Wohnzimmer blickte, sah sie Bryans Handy auf dem Wohnzimmertischchen liegen. Sie schluchzte leise und beschämt und ließ sich dann rückwärts aufs Bett fallen. Während ihr starrer Blick die Decke durchbohrte, wurde es endlich wieder ganz ruhig im Apartment. Als ob niemand darin gewesen und der Sturm bereits vorbeigezogen wäre.

      ***

      Es fehlte Kaffee.
      Ja, der Kaffee fehlte definitiv, denn Mag wurde immer unruhiger und wenn sie unruhig wurde, brauchte sie Kaffee. Warum hatte Bryan sein Handy liegen lassen? War er einfach zu blöd oder war es ihm gleichgültig, was sie sagte?
      Hätte sie ihn angerufen, selbst wenn er es mitgenommen hätte?
      Mag saß am Tisch und knitterte an einem Blatt Papier herum, nur um etwas in den Händen zu halten. Ihre und Bryans Kleider hatte sie eingeräumt und die Sachen aus der Kühltasche in den Kühlschrank verlagert. Jetzt hatte sie keine Lust mehr, außerdem war sie vollkommen neben der Spur. Sie war sich vollkommen unsicher, was Bryans und ihre Beziehung anging, aber einen Versuch war es doch wert, oder? Sie waren so lange zusammen gewesen, hatten fantastischen Sex gehabt, warum sollte es also nicht funktionieren?
      Total aufgewühlt griff sie nach dem Kugelschreiber und kritzelte „Bin kurz weg, Schatz… ich lieb dich!“ auf das verknitterte Papier, griff den Schlüssel und ihren Geldbeutel und verließ die Wohnung.

      ***

      Jeder Schritt brachte Bryan ein Stückchen näher. Der Gipfel war bereits in Reichweite, er spürte es genau. Irgendwie ließ er nach, Schritt für Schritt, seine Beine wollten ihn nicht länger tragen. Warum dieser Schwächeanfall? Hatte er wirklich so stark nachgelassen?
      Wo sollte das nur enden? So konnte es jedenfalls nicht weitergehen, er musste sich etwas einfallen lassen.
      Dann setzte er den letzten Schritt auf die letzte Stufe, brauchte drei Anläufe, um das Schlüsselloch zu treffen und betrat schließlich das stille und leere Zimmer. Verwundert versuchte er zu hören oder zu sehen, doch was er suchte, blieb ihm verwehrt. Mit einem genervten Stöhnen warf er die Einkaufstasche auf den Küchentisch, holte seine hart erkämpften Chips hervor und warf sich wieder auf das Sofa.
      Immer noch zu klein…
      Seine Hand tauchte tief in die Tüte und entfernte eine geballte Hand voll Kartoffelfutter daraus. Beim Versuch sich die Masse in den Mund zu schieben, bröckelte die Hälfte auf sein weiß-beige kariertes Hemd. Nicht sonderlich ordinär, nicht teuer oder besonders schick. Es reichte sozusagen für die Krümel von Kartoffenchips. Erst als er das Flimmern der Matschscheibe vermisste und sein Blick auf das Tischchen mit der Fernbedienung fiel, bemerkte er das kleine, zerknitterte Zettelchen, das direkt neben der Fernbedienung lag.
      Da wusste wohl jemand, wo sie Nachrichten zu platzieren hatte.
      „Bin kurz weg, Schatz… ich lieb dich!“ … was denkt sie sich dabei?
      Bryan stöhnte erneut und schaltete die Glotze ein. Nach einigen Überlegungen bemerkte er, dass er die Fernbedienung zuvor vermisst hatte. Mag musste sie gefunden und hier her gelegt haben.
      Dann weiß sie nicht nur, wo sie mich erreicht, sondern auch, wo die Fernbedienung zu liegen hat!Bryan musste lachen, ehe er sich geschockt das Wörtchen erreichen auf der Zunge zergehen ließ. Wollte Mag ihn nicht auf dem Handy erreichen? Das lag jedenfalls neben der Fernbedienung.
      Zettel, Fernbedienung, Handy… Zettel, Fernbedienung, Handy…
      Ach, verdammt!
      Bryan sprang wütend auf, griff seinen Schlüssel und rannte Richtung Tür. Auf halbem Weg drehte er noch mal um, packte sein Handy und verließ endlich das Zimmer, um Mag zu suchen.

      ***

      Chaos… um sie herum nur zerfallene Ruinen, die restauriert werden sollten. Sie sollten. Aber ein versunkenes Wrack ließ sich schwer aus dem Wasser fischen. Mag hatte es geschafft, dieses alte, zerstörte Wrack herauszuziehen, aber sie war alleine nicht imstande es zu reparieren.
      Verdammt noch mal, ich bin alleine…!
      Kraftlos versank sie mit ihrem Kopf in ihren Armen, wie auf einer Wasseroberfläche. Der harte, runde Holztisch der Kneipe ließ sie aber schnell wieder auftauchen. Ihr Kopf schmerzte. Der sechste Martini hatte ihr nicht gut getan.
      „Hey Lady, kann ich ihnen ein Wasser bringen lassen?“
      Die Stimme des Barkeepers, der diesen zusammengefallenen Haufen Elend schon länger beobachtet hatte. Mag winkte ab, ohne ihm einen Blick zu schenken.
      Lass mich einfach in Ruhe.
      Warum war es nur so gekommen? Mag fühlte sich in einer fremden Welt, umgeben von Schatten. Die Gestalt, die sie eigentlich stützen sollte, war der größte Schatten von allen. Im Prinzip war sie wirklich alleine. Bryan war wie eine leere Hülse für sie. Sie konnte ihn materiell nutzen, zum Beispiel für Sex und… ja, Sex. Aber was sonst? Er war stinkfaul, lag tagelang nur auf dem Sofa herum, trank Bier und fraß Chips. Dieser Mann hat zu lange finanzielle Unterstützung von seinen Eltern erhalten, um wirklich zu wissen, was Arbeit ist. Was gab Bryan ihr, außer Sex? Liebe?
      Dass ich nicht lache!
      Er hatte ja schon ein Problem damit einkaufen zu gehen, wie konnte er sie dann ausführen, ihr Blumen kaufen oder… eben Dinge, die man tut, wenn man sich liebt.
      Mag spürte den Alkohol, sie dachte schon wieder über komisches Zeug nach. Sie sollte aufhören, sie sollte den Heimweg antreten. Sie sollte. Aber sie konnte sich beim besten Willen nicht bewegen.
      Sechs Martinis… ich bin schwach geworden…
      „Nein, lassen Sie sie bitte. Sie wird keinen Ärger mehr machen!“
      Oh nein…!
      Sie hatte auf den Boden gebrochen, das spürte sie genau. Zwar war es ihr im Moment des Geschehens nicht aufgefallen, aber jetzt wusste sie es eindeutig. Es war das Einzige, was sie gerade ganz genau wusste.
      Plötzlich hob sich ihr linker Arm, völlig selbstständig, ohne ihr Zutun, und ihr Körper bewegte sich weg… Richtung Ausgang.
      „Bryan? Bist du’s?“
      „Ich bin’s.“
      „Meine Rechnung, ich… kann nicht…“
      „Ich hab schon bezahlt. Kannst du gehen? Soll ich dich tragen?“
      „Ich kann… ich – ich meine…“
      „Schon gut, sag nichts mehr. Ich bring dich nach Hause.“
      Trotz allem fühlte sich Mag doch geborgen, hier und jetzt. Deshalb schlief sie total fertig in Bryans Armen ein.

      ***

      Mag kam wieder zu sich, als Bryan dabei war, die Tür aufzuschließen. Sie lag huckepack auf seinem Rücken und sabberte auf sein Hemd.
      Ich fühle mich so schrecklich…!
      Sollte sie das ihm sagen? Der Abend war gelaufen. Bryan trug Mag ins Badezimmer und wusch ihr Gesicht mit einem Waschlappen ab, dann zog er ihr vollgebrochenes Top aus und tauschte es gegen das Oberteil ihres Schlafanzugs. Den gleichen Tausch machte er mit ihrer Jeans und der Schlafanzugshose, ehe er sie ins Bett legte und zudeckte. Sie schaute schwach zu ihm auf. Sein Hemd war vollgebrochen.
      „Wie spät ist es?“, fragte sie.
      „Eins.“
      „So spät…?“
      Bryan war mehrere Stunden in der Stadt herumgelaufen, um sie zu suchen.
      „Es tut mir so leid…“, jammerte sie mit tränenden Augen.
      „Ist okay. Wir reden morgen drüber.“, seufzte er und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Mag schloss die Augen, hörte aber noch im Hintergrund, wie Bryan ihre und seine dreckigen Kleider wusch, die Kühlbox mit den inzwischen aufgewärmten Lebensmitteln ausleerte und in den Kühlschrank einräumte, die Einkäufe von vorhin verstaute und sich schließlich, eine lange Zeit später, zu ihr ins Bett legte. Nicht nur ihre fürchterlichen Magenschmerzen hielten sie vom Schlaf ab. Irgendwie fühlte sie sich verpflichtet, auf ihn zu warten. Das war sie ihm schuldig.

      ***

      Mag wollte die Augen nicht öffnen. Jeder kleinste Strahl Licht wäre wie ein Blitz in ihre Augen geschossen. Ihrem Magen ging es auch noch nicht besser. Ein erschlagenes Stöhnen charakterisierte ihren Gemütszustand. Sie war fertig. Immer noch. Schließlich wagte sie einen Blick auf den Wecker.
      Sonntag, 10 Uhr. Wo ist Bryan?
      Bryan war bereits wach. Jedenfalls halbwach. Mag konnte durch den Spalt der Schlafzimmertür sehen und erkannte seine in Unterwäsche bekleidete Pracht auf dem Sofa. Er lag auf der linken Körperseite, schob sich mit seiner rechten Hand Chips in den Mund, während er mit seiner linken Hand seinen schweren Kopf stützte und in die Matschscheibe starrte.
      Sonntag, 10 Uhr, wiederholte Mag gedanklich und entschloss sich endlich aufzustehen. Die Koordination gelang erschreckend gut, sie fand den Weg zur Tür ohne wahrscheinlich auch nur einmal zu stolpern. Ehe sich Bryan versah, stand die verschlafene Mag in der Tür, die blonden Haare im Gesicht, Augen nur halb geöffnet und mit der rechten Hand am Türrahmen gestützt, sodass ihr Schlafanzugoberteil den Bauchnabel entblößte.
      Sexy… dachte er und grinste ihr entgegen. „Guten Morgen, du Schluckspecht!“
      „Ach, sei ruhig…“, seufzte sie und ließ sich auf den Sessel fallen. „Warum musst du morgens schon Chips essen?“
      „Hm…“, überlegte er und zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung. Du bist ja nicht aufgestanden.“
      „Du erwartest von mir doch nicht, dass ich aufstehe und für dich den Tisch decke?“, fragte Mag empört.
      „Der Kaffee darf natürlich nicht fehlen.“
      Kaffee…
      „Weißt du eigentlich, wie stinkfaul du bist?“, fauchte Mag wütend und schlug auf die Sessellehne.
      „Weißt du eigentlich, wer gestern die ganze Arbeit gemacht hat, weil gewisse andere Personen sich zugekippt haben?“, konterte Bryan und Mag wurde rot vor Scham.
      „Ich… das war…“, stammelte sie, „deine Schuld!“
      „MEINE Schuld?“, rief Bryan fassungslos.
      „Ja, du hörst richtig! Ich besaufe mich nicht einfach so, oder? Wann hab ich mich das letzte Mal sinnlos besoffen? Beim Schulabschluss schätzungsweise.“
      „Was habe ich bitteschön getan?“
      „Was du getan hast? Merkst du eigentlich gar nichts?“
      „Frau… kannst du nicht einfach auf meine Frage antworten?“
      „Die Antwort liegt auf der Hand, du willst sie dir nur nicht eingestehen!“, raunte Mag.
      „Hör doch auf damit…“
      „Bryan! Du weißt genau, dass es so nicht weiter gehen kann. Du benimmst dich einfach nicht wie ein Angestellter der weltweit größten Bank.“
      „Wie soll ich mich denn verhalten? Dann sag’s mir doch!“
      „Verantwortung übernehmen vielleicht?“, rief Mag. „Du liegst den ganzen Tag auf dem Sofa, frisst Chips und siehst fern. Du hilfst mir kein bisschen, verstehst mich kein Stück und wenn du mit mir sprichst, dann nur, um mich als Sklave deiner Faulheit auszunutzen oder um mit mir zu streiten.“
      Bryan sagte kurz nichts. Er musste seine Gedanken ordnen. Mit einem kurzen Blick auf den Boden fasste er sich wieder und rief dann:
      „Nein!“
      „Nein…?“
      „Nein!“
      „Und was machst du dann?“
      „Nun, ich habe Wochenende. Wer bei der größten Bank arbeitet, darf am Wochenende wenigstens mal relaxen, oder?“
      Mag griff sich an die Stirn und schloss ihre Augen. Sie bekam wieder Kopfschmerzen. Der Tag hatte prächtig begonnen. „Bryan, wir sind eingezogen.“
      „Das musst du mir nicht sagen.“
      „Damit will ich dir sagen, dass viel Arbeit vor uns steht. Wir müssen uns hier einrichten, aber auch einleben, also uns an das Umfeld gewöhnen. Da muss deine Freizeit halt mal ausfallen. Du kannst nicht jedes Wochenende herumhängen!“
      „Warum nicht? Ich will nicht arbeiten, wenn ich mich ausruhen kann. Immerhin hab ich unter der Woche genug zu tun!“
      Mag wollte jetzt nicht damit anfangen aufzuzählen, was sie die ganze Woche so an Hausarbeit trieb, denn das würde Bryan ebenfalls nicht verstehen.
      „Bryan, ich bin unglücklich mit dir.“
      „Willkommen in meiner Welt!“, lachte Bryan aus vollen Zügen und schob sich daraufhin gleich noch eine Hand voll Chips in den Hals.
      „Du bist ein Schwein! Sieh hin, was du gemacht hast – der ganze Boden ist voller Krümel! Und das an unserem zweiten Tag… nimm dir sofort einen Staubsauger und mach das weg!“, schrie Mag stocksauer und sprang vom Sessel auf.
      „Du stehst gerade…“
      Stille. Bryan spürte die Luft glühen, er verbrannte sich die Finger daran.
      „Ist gut, Süße, war nur ein Witz. Wenn diese Serie fertig ist, hol ich den Sauger und…“
      „Nenn mich nicht schon wieder Süße!“, fauchte Mag.
      „Ich kann mir nicht helfen, so bist du halt.“, grinste Bryan.
      „Du wirst JETZT aufstehen!“, knurrte Mag und schaltete den Fernseher ab.
      „Das hätte nicht sein müssen. Du weißt genau, dass ich den Sauger geholt hätte, wenn…“
      „Ich kenne dich Bryan. Du hättest gleich die nächste Serie eingeschaltet.“, seufzte Mag und ging Richtung Badezimmer, um sich umzuziehen. Dabei schmiss sie sehr deutlich die Tür zu.
      „Siehst du, da liegt das nächste Problem.“, murmelte Bryan leise. „DU hörst MIR auch nicht zu…“

      ***

      Mag hatte sich das gut überlegt. Es war eine schwere Entscheidung gewesen, doch sie war sich sicher, dass sie die richtige getroffen hatte. Sie brauchte Platz, um sich zu entfalten. Bryan nahm ihr diesen Platz. Sie brauchte Respekt und Liebe. Für Bryan war sie nur eine Dienerin, sowohl bei der Arbeit, als auch für ihren Sex. Die Nächte bedeuteten nichts. Sie waren eiskalt, ohne Wärme. Mag dachte, dass alles, was sie versucht hatte aufzubauen, von einer riesigen Welle weggetrieben werden würde, wenn Bryan weiter hier blieb.
      So kam sie aus dem Badezimmer und sah das Monster angeekelt an. Er lag auf dem Sofa, fraß Chips und soff Bier. Er sah so erbärmlich aus.
      „Bryan, ich muss dir etwas sagen.“
      Mag hatte ein „Nicht jetzt…“ erwartet, doch irgendwie schien Bryan zu merken, dass etwas nicht stimmte. Sie fuhr fort, ohne Bryan zu Wort kommen zu lassen.
      „Hör mal. Das alles funktioniert nicht. Ich brauch Platz, um mich zu entfalten, aber du nimmst mir jeden kleinsten Winkel weg. Du machst mir mehr Arbeit, als du mir zurückgeben kannst und wirfst alles über den Haufen, was ich mir mühevoll errichte. Ich komme mit dem Gedanken nicht klar, dass ich deine Verlobte bin, es macht mich krank! Pack deine Sachen und verschwinde – ich will dich nicht mehr sehen!“
      Während ihrer Rede, wurde Mag immer lauter und Bryans Augen immer größer. Als sie nun am Höhepunkt angelangt war, schienen seine Pupillen auf Reiskorngröße zusammengeschrumpft zu sein.
      „Das meinst du nicht ernst.“
      „Das meine ich todernst. Ich will, dass du in 30 Minuten aus meinem Leben verschwunden bist.“
      Sie hat nicht das Recht, mich raus zu werfen. Mein Geld steckt in dieser Wohnung, das Geld meiner Eltern steckt in dieser Wohnung. Sie darf das nicht! Rechtlich ist das nicht in Ordnung… sie… sie…!
      Bryan stand vom Sofa auf und klopfte sich die Krümel vom T-Shirt, sodass sie auf dem Boden landeten.
      „Fein. Ich sehe das genauso wie du. Ich bin in ZEHN Minuten weg.“
      Mit diesen Worten ging er an Mag vorbei, stieß absichtlich mit ihr zusammen und verschwand im Schlafzimmer. Mag stöhnte und sank mit zittrigen Fingern auf dem Sofa nieder. Das erste Mal, dass sie jemals darauf gesessen hatte. Es war noch warm.
      Nach 35 Minuten kehrte Bryan mit einem voll bepackten Koffer aus dem Schlafzimmer zurück und stolzierte Richtung Tür.
      „Auf Nimmerwiedersehen.“, knurrte er, verließ die Wohnung und knallte die Tür zu.
      „Machs gut… Arschloch.“

      ***

      Bryan wanderte durch die Straßen der Stadt, auf der Suche nach einer Unterkunft. Der Koffer wurde langsam schwer und die Sonne knallte ihm auf die Schädeldecke.
      Verdammt, was tu ich hier?
      Was er tat? Er rannte weg. Weg von einem Leben der Unterdrückung in ein Leben der Freiheit. Sein Leben war so orientierungslos gewesen, aber jetzt standen ihm alle Wege offen. Er konnte tun und lassen, was er wollte. Diese „Beziehung“, was war das schon? Sie war ein gut erprobtes Spiel. Ohne Probe wäre das nie etwas geworden. Und Mag und Bryan waren gute Schauspieler. Im Prinzip war Bryan sogar der bessere Schauspieler von ihnen. Erst Mag konnte ihm die Augen öffnen, so sehr war er in seiner Rolle gefesselt. Das zeugte von Talent!
      Talent!
      So schritt er über die Gehsteige der Stadt wie ein König, auf der Suche nach neuen Perspektiven. Er war voller Kreativität und konnte es kaum erwarten, sie auszuspielen.
      Und dazu habe ich alle Zeit der Welt!

      ***

      Es war besser so. Mag fühlte sich gleich schon viel freier. Oh ja, die Freiheit war deutlich zu spüren. Keine Glotze, die im Hintergrund lief, keine Krümel auf dem Boden, auf die sie trat und keine Flaschen Bier auf dem Tisch, die sie wegräumen musste.
      Ich habe sogar nur noch halb so viel Wäsche – ein Traum!
      Jetzt hatte sie viel mehr Zeit für andere Dinge. Für… andere, wichtige Dinge. Obwohl er erst ein paar Stunden lang weg war, schien es ihr, er sei schon jahrelang fort gewesen. Ihre Gefühle waren so weit entfernt, sie konnte sie kaum noch spüren. Seine hatte sie ohnehin nie gespürt.
      Mag stieß einen Seufzer aus und ließ sich auf das Sofa fallen.
      Warum musste es so kommen?
      Warum hatte sie mit diesem Spinner zusammen kommen müssen? Der Kerl hatte ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Warum hat ihr niemand gesagt, wie es kommen würde?
      „Sagtest du nicht, du wolltest mich glücklich machen?“
      Ihre Frage klang mehr vom Kummer berührt, als befreit. Was war mit ihr los?
      „Eine Welle. Sie vernichtet alles, was ich aufbauen wollte. Ist diese Welle wirklich Bryan?“
      Sie führte schon Selbstgespräche, so verrückt war sie schon.
      „Bin ich vielleicht selbst die Welle?“
      Mag stöhnte gestresst und ließ den Kopf hängen.
      Das Sofa ist viel zu groß…

      ***

      Inzwischen war es Abend, ungefähr halb elf. Bryan war auf dem Weg zu seinem neuen Zuhause. Er war noch mal unterwegs gewesen, um ein paar Bierchen zu trinken und einige Mädchen aufzureißen. Manche davon waren viel zu jung gewesen, aber das war ihm egal.
      Solange ich sie nicht schwängere, sollte es in Ordnung gehen.
      Wenn er so nachdachte, hatte er damals, als er noch ein Junge war, so viele Träume gehabt. Er wollte hoch hinaus, einen tollen Job, berühmt sein, eine große Familie und eine tolle Frau. Er hatte nichts davon auch nur ansatzweise erreicht. Sein Job war dämlich, er hasste ihn, auch wenn er ordentlich Kohle einbrachte. Berühmt war er auch nicht, vielleicht im Unternehmen, da er der Trottel des Chefs war (der gut bezahlte Trottel des Chefs), aber in die Öffentlichkeit durfte er nie treten, war immer nur der kleine Idiot, der dem Boss den Arsch abwischte und fast alles für diese faule Sau plante. Ja, er hatte Arbeit, auch wenn Mag es nicht glauben wollte! Er musste alles für seinen Chef organisieren, sogar seinen verdammten Gang aufs Scheißhaus! Er war wirklich erbärmlich. Eine Familie hatte er immer noch nicht und eine tolle Frau hatte ihn heute Morgen in den Wind geblasen.
      Schwachsinn… Mag war EINE Frau. Toll war sie auch nicht, sie hat mich nur belastet.Und das stimmte. Sie warf ihm immer vor, faul und unbrauchbar zu sein – als habe er nichts Besseres zu tun. Er musste sich von ihr beschimpfen lassen, selbst wenn er nichts Schlimmes getan hatte, sondern nur, um eine Zielscheibe für Mags schlechte Laune zu sein.
      Verdammt, dieses Miststück!
      Und doch war da dieses Lächeln, wenn er ihr Komplimente machte. Diese lebendigen Augen und diese vollen Lippen, die nach seinen schrieen. Oder dieses hilflose Blinzeln, als sie total betrunken und seinen Armen lag.
      Bryan musste kurz grinsen, ertappte sich aber dabei und zog wieder eine ernste Fratze.
      Niemals und nie wieder… dieses Miststück kann mir gestohlen bleiben.
      Bryan war am Motel angekommen. Mit schweren Schritten lief er die Treppe nach oben und schloss die Tür auf. Und war allein.

      ***

      Nachts lag Mag allein im Bett. Es war groß, gemütlich und… groß. Das Beste war: Sie hatte alles allein für sich! Kein Bryan, der die ganze Nacht über schnarchte, der sich auf ihre Hälfte drängte oder mitten im Schlaf seine Hand in ihr Gesicht schlug, wenn er sich umdrehte.
      Alles meins!, grinste sie und kuschelte sich in die zwei Kissen, die sie übereinander gelegt hatte. Sie schloss die Augen und gab sich ihren Träumen hin.

      Einfach wundervoll…!

      Irgendwas stimmte nicht.
      Mag konnte nicht einschlafen.
      Sie drehte sich sicherheitshalber anders herum, als wollte sie Bryan betrachten, der normalerweise neben ihr lag. Er war nicht da. Warum sollte er auch? Er hatte sich aus dem Staub gemacht.
      Weil ich ihn dazu aufgefordert habe.
      „Ach, verdammt!“, knurrte sie und vergrub ihren Kopf im Kissen. Als sie bemerkte, dass sie auch so nicht schlafen konnte, drehte sie sich auf den Rücken. An der Decke sah sie Bryans Gesicht. Na ja, sie sah es nicht wirklich, aber vor ihrem inneren Augen war er da. Nicht der gefräßige Bastard, der er war, sondern dieser, der sie heimgetragen hatte, als es ihr zum Kotzen ging und der sie angelacht hatte, als sie morgens neben ihm aufgewacht war und ihm gesagt hatte, wie laut er gestern beim Schnarchen gewesen war.
      „Bryan…“, jammerte Mag, „Was habe ich nur angestellt?“
      Ihr Jammern wurde ein Schluchzen und dem Schluchzen folgten Tränen. Sie wollte nicht weinen, wischte die Nässe aus ihren Augen, aber den Schmerz konnte sie nicht umgehen. Der war trotzdem da, auch wenn sie die Tränen immer wieder wegwischen konnte. Sie wollte nicht traurig sein. Bryan war ein Arschloch, er hatte ihr nichts als Ärger bereitet.
      „Warum ist er weg…? Ich will nicht, dass er weg ist… Ich will nicht alleine sein…!“
      Sie weinte und tauchte ihr Gesicht wieder tief in das sanfte Kopfkissen.
      Sie hatte die ganze Nacht nicht schlafen können.

      ***

      Wo sollte sie nur das Geld hernehmen?
      Dieser Gedanke schoss Mag und Bryan gleichzeitig durch den Kopf und auch wenn er für Mag etwas präsenter war, existierte er doch in Bryans Kopf als bedeutender Punkt seines aktuellen Denkens.
      Mag war arbeitslos, wie zum Teufel wollte sie eine teure Wohnung wie diese, die seine Eltern ihnen gekauft hatten, unterhalten? Bryan konnte die Miete aus der Hosentasche bezahlen, Mag hatte überhaupt kein Geld.
      Das muss eigentlich nicht mein Problem sein. SIE hat MICH rausgeworfen.
      Bryan saß an seinem Schreibtisch und kritzelte mit dem Bleistift einige Notizen seines derzeitigen Anrufers auf ein Blatt Papier. Schon komisch, dass er an so etwas dachte, während er mitten in einem wichtigen Telefonat steckte. Die Information betraf seinen Chef, er nahm lediglich den Anruf entgegen. Eigentlich war es egal, was dieses Geldschwein am anderen Ende der Leitung ihm zu erzählen hatte. Alles, was Bryan von ihm wissen musste, waren Name und Telefonnummer, damit sein Chef ihn zurückrufen konnte.
      Damit war sein Job erledigt.
      Er verabschiedete sich freundlich, schmierte dem Geldschwein zum fünften Mal Honig ums Maul und legte schließlich auf. Bryan entschied, dass es Zeit für eine Mittagspause war.
      Müde verließ er das Bankgebäude und überquerte die Straße, da auf der anderen Seite eine exzellente Pommesbude stand. Es gab sogar Currywürstchen.
      Lecker, Currywürstchen!
      Bryan wusste, dass das ironisch gemeint war. Mags Essen war um Klassen besser – ja, Mag kochte fantastisch. Er hatte sie schon so oft für ihr Essen gelobt und sie hat es immer gefreut. Selbst in der Mittagspause war er schnell in seinen Wagen gestiegen und heimgefahren, um mit ihr zusammen zu essen. Jetzt aß er Pommes.
      Und Currywurst.
      Guten Appetit…

      ***

      Mag saß am Tisch und aß eine Suppe. Sie war nicht aufgelegt, heute etwas Spezielles zu kochen. Es gab auch keinen Anlass, irgendetwas Extravagantes zuzubereiten, denn heute war ein unwichtiger Tag in einem unwichtigen Leben.
      Das war übertrieben…
      Mag hatte schon morgens mit der Arbeitsagentur telefoniert und sich die Adresse eines Supermarktes herausgesucht, bei dem sie etwa 800 Euro monatlich verdienen konnte. Würde sie sich gut eingliedern, könnte ihr Gehalt auf 1200 Euro steigen. Das wäre klasse! Mit den 800 Euro hätte sie monatlich fast nichts übrig, wenn sie die Miete bezahlen wollte. Aber mit der Zeit kam der Wohlstand. Das war es, was Bryan nie gelernt hatte. Wenn sie lange und effektiv arbeitete und ihr Gehalt wuchs, würde sie sich wieder kleinere Dinge leisten können.
      Aber für was? Für was kaufte sie sich noch kleine Dinge? Wozu putzte sie tagtäglich? Okay, Kleider waschen war selbstverständlich, aber wenn sie niemand besuchen kam, wieso sollte sie dann die Wohnung putzen? Ob Bryan schon seinen Eltern davon erzählt hatte?
      „Verdammt , egal an was ich denke, es dreht sich immer um Bryan!“, jammerte sie und bemerkte, dass sie schon wieder mit sich selbst gesprochen hatte. Sie musste den Kopf frei bekommen, immerhin fuhr sie heute Nachmittag auf ein Vorstellungsgespräch.
      Endlich hat mein Leben wieder einen Sinn.
      Sie war gespannt festzustellen, was wirklich hinter ihren Worten steckte.

      ***

      Bryan betrat sein neues Zimmer. Das Motel von gestern gab nur Zimmer für eine Nacht aus. Genau wie dieses. Bryan beschloss, seine Kleider erst gar nicht aus dem Koffer zu packen. Die benutzten trug er hinunter in den Waschsalon. Es war ein merkwürdiges Gefühl, seine Kleider selbst zu waschen. Jetzt wo Mag nicht mehr da war, hatte er es viel schwerer.
      Dabei konnte er sich einfach ein neues Apartment kaufen. Ein viel schöneres, größeres, als das, was er sich mit Mag geteilt hatte.
      Eins mit einem viel größeren Sofa… das wäre herrlich.
      Stattdessen übernachtete er in einem Motel. Er verstand seine Logik nicht richtig, aber irgendwie brauchte er diese 1-Nacht-Motels. Er fühlte sich lebendig, wenn er täglich umzog. Wie ein richtiger Amerikaner, der die ganze Zeit unterwegs war. Roadtrip nannten sie das, wenn er sich nicht irrte. Vielleicht kam er so seinen Zielen näher. Alleine.

      ***

      Es war gegen acht Uhr, als Mag von ihrem Gespräch nach Hause kam. Müde tappte sie die Stufen nach oben und schloss die Türe auf. Im Apartment war es dunkel, nur durch das Licht des durch das Fenster hereinfallenden Mondes wurde es etwas erhellt. Mag lief durch das dunkle Zimmer und ließ sich auf das Sofa fallen. Es war immer noch zu groß.
      Plötzlich fing sie an, aus vollen Zügen zu lachen. Sie streckte ihre Hände in Richtung Decke und ballte ihre Fäuste triumphierend.
      Ich hab’s geschafft, die haben mich echt genommen!
      So musste sich Erfolg anfühlen. Mag hatte etwas annäherndes noch nie gespürt. Ab Morgen konnte sie anfangen. Sie war so glücklich über ihren Job, dass sie aufsprang und ein Glas Sekt trinken wollte. Im Kühlschrank stand die Flasche, woraus sie sich einen großzügigen Schluck einschenkte und in Richtung Küchentisch lief.
      Schade, dass ich mit niemandem anstoßen kann.
      Plötzlich erschrak Mag. Sie erkannte eine Silhouette auf dem Küchentisch, aber was es war, konnte sie nicht sagen. Als sie den nächsten Lichtschalter gefunden hatte, blieb ihr Herz stehen.
      Rosen…?
      Auf dem Tisch stand eine Vase mit einigen roten Rosen darin. Die hatte sie nicht dort hingestellt. Auf dem Tisch lag jedoch noch ein Briefumschlag. „Mag“ stand darauf. Die Adressierte rannte hastig darauf zu und riss den Umschlag auf. Den Inhalt ließ sie erschrocken auf den Tisch fallen.
      Herrgott…
      Der Umschlag beinhaltete Geld. Viel Geld. Bestimmt 2000 Euro, nur in kleinen Scheinen.
      Das ist von Bryan, ganz sicher.
      Mag ließ ihr Glas stehen, sprang auf und rannte ins Schlafzimmer, rannte ins Bad, aber fand niemanden. Sie war allein. Noch immer.
      Sichtlich enttäuscht ging sie zurück zum Tisch, ließ sich auf den Stuhl fallen und nahm einen Schluck Sekt. Dabei starrte sie mit leerem Blick auf die Scheine, die verstreut auf ihrem Tisch lagen.
      „Cheers…“

      ***

      Bryan sah Mag überall. Das war kein seltenes Problem, früher hatte er sie sowieso rund um die Uhr gesehen. Aber jetzt wurde ihm klar, dass es erst jetzt wirklich ein Problem wurde. Denn Bryan sah sie schließlich nicht wirklich sondern nur… unwirklich. Vor seinem inneren Auge. Drehte sich auf einem überfüllten Gehsteig eine Frau mit kurzen blonden Haaren kurz zu ihm um, sah er Mags Gesicht, aber im nächsten Moment war es wieder weg.
      Ich bin total paranoid!
      Bryan beschloss, dass sich das ändern musste. Er sollte ein anderes Mädchen aufreißen.
      Nein, das wäre eine Verschwendung. Es ist zu schwer Frauen zu finden, die Mag……übertreffen?
      Wenn Bryan darüber nachdachte, hatte er ein ernsthaftes Problem. Er lief in der Mittagspause planlos durch die Fußgängerzonen der Stadt, gaffte kurzhaarige Blondinen an und rannte mehrmals fast gegen einen Pfosten, weil er so in Gedanken versunken war.
      Versunken.
      Das war das richtige Wort. Bryan war ein sinkendes Wrack. Er hatte alles, was er sich wünschen konnte … nur die Frau fehlte. Und weil er Mag nicht wieder haben konnte, brauchte er auch sein Geld nicht mehr. Weder das, noch eine tolle Wohnung. Er musste wohl seine Prioritäten ganz neu setzen.
      Wir waren doch verlobt, warum ist es so gekommen?
      Wieder war er zu tief in seinen Gedanken versunken. Er rannte rücksichtslos eine junge Frau um, die einige Meter zurückstolperte und ihn dann empört ansah. Bryan wollte etwas sagen, wie Entschuldigung oder Verzeihung, ist Ihnen etwas passiert? Aber er brachte nichts heraus, ebenso wenig wie die Frau, die ihn mit offenem Mund anstarrte.
      „Bryan…“, stotterte Mag. Sie zitterte, Bryan spürte es genau.
      „Hallo. Wie geht’s so?“, fragte er und verschränkte die Arme. In Mags Augen sammelten sich Tränen. Sie würde doch jetzt nicht anfangen zu weinen, oder? Nur weil er ihr etwas Geld zukommen lassen hatte. Und die paar Rosen, also das war doch nicht wirklich der Tränen wert. Erstrecht nicht mitten auf dem Gehsteig. Was sollten die Leute denken? Sie würde nie… sie ist viel zu herzlos und… und… sie tat es wirklich.
      „Bitte, komm nach Hause!“, jammerte sie und faltete flehend die Hände. Bryan hatte sie noch nie so emotional erlebt. Sein kleiner Engel fiel vor ihm auf die Knie, aber Bryan half ihr sofort wieder auf. „Es tut mir leid, ich habe einen Fehler begangen. Ich wollte dich eigentlich nicht rauswerfen.“, schluchzte sie und Bryan wischte ihre Tränen ab.
      „Nein, ich habe etwas falsch gemacht. Ich habe dich nicht gut genug behandelt. Dafür, dass du mein ein und alles bist, hätte ich dir viel mehr helfen müssen.“
      Bryan spürte Mag in seinen Armen und ihm wurde ganz warm. Das lag nicht nur an der schwarzen Currywurst, die er vor kurzem gegessen hatte.
      Herrgott, was denke ich eigentlich gerade?
      „Bitte geh nie wieder weg. Bleib immer bei mir!“, flüsterte sie und es fiel ihr immer noch schwer deutlich zu sprechen.
      „Das werde ich… ich verspreche es…“, flüsterte Bryan lächelnd zurück und konnte dabei vor lauter überschäumender Glücksgefühle kaum wissen, dass das gar nicht so einfach werden würde, wie es im Moment nicht zu sein schien.


      (c) Julian Jungermann

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